Zeugenverhörprotokoll 1642
Der Forstmeister am Stromberg, Kapitänleutnant Johann Degeler1, und der Vaihinger2 Vogt Johann Eberhardt Brauch3 verhören in Gegenwart der Vaihinger Gerichtsmitglieder Johann Groß, Johann Buhl und Georg Friedrich Weißbrodt die Gefangenen von Maulbronn4, den Sauhirten Moses Schabenburger aus Schmie5 und den Ochsenknecht Simon Feyhler aus Neuhausen6, die sich am Überfall und an der gewaltsamen Gefangennahme des Maulbronner (Unter-)Vogtes Johann Ulrich Stenglin7 und der Vaihinger Bürger Sebastian Kern, Michael Roller, Hans Michael Winzenburger und Johann Ferber beteiligten. Die Beschuldigten verteidigen sich damit, dass sie von Seiten der klösterlichen Obrigkeit zu diesem Handstreich gezwungen worden seien und die ihnen aufgenötigten Schusswaffen absichtlich so eingesetzt hätten, dass keine tödliche Bedrohung davon ausgegangen sei. Sie bitten um richterliche Milde und Haftverschonung, da sie nur „arme Knecht“ seien. Außerdem habe der Maulbronner Vogt zuvor Schabenburgers Haus in Schmie geplündert und dessen Frau und Tochter mit einer Waffe bedroht, was die nachfolgende Aktion der Beklagten in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen würde. Ob und inwieweit diese Beschuldigung tatsächlich zutrifft, wird in dem Protokoll nicht vermerkt.
[o. O.], 2./12. August 1642
1 Deg(e)ler, Johann, Kapitänleutnant 1641–1644, auch Kommissar (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 1, Stuttgart 1957, § 1623).
2 Stadt Vaihingen an der Enz LB.
3 Brauch, Johann Eberhard, (Unter-)Vogt zu Vaihingen 1640–1661 (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2989).
4 Stadt Maulbronn PF.
5 Schmie, Stadt Maulbronn PF.
6 Neuhausen PF.
7 Stenglin (Stänglin), Johann Ulrich, verst. 1647, Spitalpfleger in Urach, von 1640–1647 (Unter-)Vogt zu Maulbronn (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2606; Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 502 Bü 56).
Actum8 denn 2. Augusti anno 1642.
Coram9 Herrn Johann Degelern, fürstlichem Commissario,
auch Herrn Vogten zue Vayingen Johann Eberhardt
Brauchen, in praesentia10 Johann Großen, Johann
Buhlen unnd Jerg Friderich Weißbrodt, deß
Gerichts daselbsten.
Examen11
derjenigen Gefangenen von Maulbronn.
Bastian Kern, Michel Roller, Hannß Michel
Winzenburger unnd Johann Ferber, Burger
zue Vayingen, welche mit Herrn Johann Ulrich
Stenglin, fürstlichem Vogte zue Maulbron, nach Schmier
gangen, haben uff Befragen volgenden Bericht geben.
Nachdeme sie denn Pfaffen unnd bey sich haben-
de Burst12 hören schreyen, seye der Vogt gleich
dem Graben zuegeloffen unnd sich nit zue nechren
begehrt, darüber Theyl Burger erschrockhen,
sonderlich der Schmeltz[?]lin13 auch außgerißen.
Gleichwohl er, Kernn unnd Winzenburger, sich re-
solvirt14 gehabt zue stehen, indeme seye der
Pfaff mit gantzem Hauffen uff sie angefallen
unnd geschryhen, mann soll Fewer geben. Auch
zueerst denn Vogt angriffen, darüber auch
8 Lat. = gegeben; hier: aufgesetzt, verfasst (anschließend i.d.R. Ort, Datum).
9 Lat. = öffentlich, vor aller Augen (erschienen).
10 Lat. = in Gegenwart von.
11 Lat. = Überprüfung, Prüfung, Befragung.
12 Bedeutung: „Burst“ = abgeleitet von Bursianer; hier vermutlich: Trupp; Gemeinschaft (junger) Leute (Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Hg): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, vgl. <(https://www.fwb-online.de/search?q=burst&type=&search=> (15.08.2022).
13 Vermutlich ist dies der Spitzname des Johann Ferber.
14 Bedeutung: „sich resolviren“ = sich entschließen.
sie beede, Winzenburger unnd Kernn, gefenglich
angenommen. Im Hineinfüehren haben die
Maulbronner vihl böße Wort wüder denn
Vogt außgestoßen unnd zue ihnen gesagt:
Ihr rebellische Schelmen15, waß dörff ihr in
unßer Ambt khommen unnd unßere Pauren
tribuliren16
Pater Bernhardt habe anfangs haißen, Feüer
geben, im Hineinraisten aber der Burst ab-
gewehrt, daß keiner weiter soll geschlagen
werden. Im Closter auch zue ihnen gesagt,
sie seyen die rechte Dieb17, welche dem gnedigen
Herrn unnd ihnen daß Ihrig zue stehlen begehren.
Der Seyhürt N. Schabenburger18, so jetzt gefangen,
habe ihne, Wintzenburger, mit der Mußqueten
zue Boden geschlagen unnd so übel mit Straichen
tractirt19, daß sein Mußqueten versprungen.
Der Thorwarth habe denn Vogt hefftig geplagt
unnd anderst nit, dann mit Schelmenschelten
geredt.
Der gefangene Sperrknecht habe denn Vogt übel
geschlagen, auch denn Winzenburger gestoßen.
15 Bedeutung: „Schelm“ = verworfener Mensch, Verräter, Schurke.
16 Bedeutung: „tribuliren“ = drangsalieren, quälen, peinigen.
17 Bedeutung: „die rechte Dieb“ = der gute/rechtschaffene Dieb; gemeint ist der Dieb, der zur Rechten des Heilands ans Kreuz geschlagen wurde und nach dem Lukasevangelium Reue zeigte, wofür ihm Jesus das Paradies versprach (Lk 23,39ff).
18 Gemeint ist der Schweinehirt Mosin (Moses) Schabenburger, das „N“ steht als Platzhalter für den Vornamen.
19 Bedeutung: „mit Straichen tractirt“ = mit Schlägen zugerichtet.
Mosin Schabenburger von Schmier habe gefragt,
wa der andre Vogel, der Vorstverwalter
(zu Vorstmaister mainendt) seye.
Herr Vogt habe sich lang zue Schmier aufgehalten,
deßgleichen zue Lentzingen20, biß sie 5 Mas
Wein außgetrunckhen unnd er, Vogt, mit seim
Schwager, dem Küefermaister, geredt, sehr
lang verkündet21, sonsten weren sie allem
Unglückh entrunnen.
Balthas Schabenburger von Schmier
habe armem Herrn die Erbhuldigung gethon.
Sein Brueders Fraw unnd sein Mädlin seyen
khommen unnd geschryhen, der Vogt seye da-
geweßen, ihnen daß Hauß spolirt22 unnd mit
dem Rohr auf sein Brueders Frawen zweymahl
geloffen23. Auch sie so dergestalt erschreckhen,
daß sie zue Beth ligen.
Darüber gleich der Pater Bernhardt, so von
Lyou[?]24 gewest, khommen, allen Innwohnern be-
fohlen, sie sollen mit ihme hinauß, unnd wa
sich ainer nit wehren werde, so soll selbigen
gleich der, so neben selbigem stehe, niderschlagen.
20 Lienzingen, Stadt Mühlacker PF.
21 In negativer Bedeutung: „verkünden“ = herumklatschen (Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Hg): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, vgl. <https://www.fwb-online.de> (23.06.2023)).
22 Bedeutung: „spoliren“ = rauben, stehlen, plündern.
23 Bedeutung: „mit dem Rohr auf sein Brueders Frawen zweymahl geloffen“ = zweimal mit einem Schießprügel (einer Muskete) auf die Frau seines Bruders losgegangen.
24 Vermutlich Lyon (Frankreich).
Dergestalten er zwingenerweiß mitgehen
müeßen.
Zwar nit wenig entrüst geweßen, weyl
mann ihme in seinem Hauß so ybel gehaußet
unnd alles undereinander geworffen.
Habe denn Wintzenburger geschlagen, weyl
selbiger daß Rohr gegen ihme gehalten.
Seye ihme zwar laydt geweßen, weyl
theyl auß Zwang, andertheyl auß Zornn
geschehen.
Sein Rohr hab er darinnen loßbrennt25, damit
niemandt ain Schadt darauß entstehe.
Im Hauß seye ihme nichz genommen worden, außer
daß ihme ain eyßin Umbgangstänglin26 mangle.
Wintzenburger beweißt mit Bastin Kernnen,
daß dißer Schabenburger ihne zweymahl
zue Boden geschlagen, im Closter zue ihnen
spottlich gesagt, wann ihr unß überwunden
hetten, mann ihr weren mit unß umbgangen.
Der Vogt habe nichz in ihrem Hauß genommen,
sonder nur ain Rohr gesuecht, weyl der
Mosin verbotten, Waidtwerckh treibe etcetera.
Allß sein Rohr und Schafft verbrochen, habe
Mosin Schabenberger vermelt, er habe sein
Rohr darnach schiffhen[?] laßen,27 daß er damit
schlagen khönde, unnd er habe von seinem
gnedigen Herrn darum Dienst, daß er
thue, waß sie wollen etcetera.
Simon Feyhler von Newhaußen28,
Gemmingischen Gebüets29.
Habe schon zwey Jahr allß ain Oxenknecht
denn Pfaffen gedient.
Der Hoffmaister habe ihne auß dem Stall ge-
nommen unnd Pater Bernhardt ihme ain Rohr
geben unnd gesagt, der Vogt Stenglin seye
draußen. Sie wollen trachten ihne zue fangen.
Habe sein Büxen auch loßbrennt, aber nur
in die Höhe geschoßen.
Hab ohne Befelch Fewer geben.
Gesteet nit, daß er denn Wintzenburger
gestoßen.
Der Portner habe denn Vogt am allerybelsten
tractirt.
Michel Roller unnd Wintzenburger melden,
daß dißer Oxenknecht auch denn Vogt
27 Vermutlich: fahren lassen im Sinne von loslassen (Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Hg): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch <https://www.fwb-online.de> (26.06.2023).
28 Neuhausen PF.
29 Ritterschaftliches Territorium südöstlich Pforzheims, genannt „das Biet“, im Besitz der katholischen Linie der Familie von Gemmingen, bestehend aus den acht Gemarkungen Hamberg, Hohenwart, Lehningen, Mühlhausen (an der Würm), Neuhausen, Schellbronn, Steinegg und Tiefenbronn. Es stand unter der Lehenshoheit der Markgrafschaft Baden-Durlach, die auch landesherrschaftliche Rechte beanspruchte.
Quelle | Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 502 Bü 51, Nr. 9 [Lit B] |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |