Heilbronner Vertrag 1622
Das Herzogtum Württemberg und der Schwäbische Kreis (vertreten durch Herzog Johann Friedrich von Württemberg und beide vertreten durch Graf Kraft VII. von Hohenlohe1) schließen mit Herzog Maximilian I. von Bayern 2 und General Tilly3 als obersten Heerführer der katholischen Liga (beide vertreten durch Artilleriegeneral und Oberst Levin von Mortaigne4) einen Vertrag über das Zusammenleben und das Verhalten der Truppen sowohl im württembergischen Grenzgebiet als auch in den Gebieten der schwäbischen Reichsritterschaft, des Deutschen Ritterordens sowie der Grafschaft Hohenlohe. Es sollen dabei militärische Durchzüge und Einquartierungen sowie insbesondere Übergriffe, Plünderungen und sonstige Nachteile für die Bevölkerung vermieden werden. Auch werden das Vorgehen bei Verstößen dagegen und eine harte Bestrafung der Täter sowie die Aufrechterhaltung freien Handels vereinbart.
Es handelt sich um die Abschrift eines vorläufigen Vertrags, der noch durch General Tilly unterzeichnet werden sollte.5
Heilbronn, 18./28. Juni 1622 (Abschrift)
1 Hohenlohe, Kraft VII. Graf von (1582–1641), Generalleutnant und Oberkommandeur in Württemberg, später Generalstatthalter des Fränkischen Kreises im Dienste Schwedens (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 1, Stuttgart 1957, § 44, 1478, 1605).
2 Maximilian I. <https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_I._(Bayern)> (03.07.2023).
3Tilly, Johann T’Serclaes von <https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_T%E2%80%99Serclaes_von_Tilly> (03.07.2023).
4 Mortaigne, Levin von, verst. 1626, bayrisch-salzburgischer Beamter und Offizier. bzw. <https://www.sn.at/wiki/Levin_von_Mortaigne> (03.07.2023).
5 Vgl. dazu: Gotthard, Axel: Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608–1628) (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg B 126). Stuttgart 1992, S. 383f. Das Original des Vertrags befindet sich in: Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 90 A Band 35, fol. 612–615.
Puncten
Wie es zwischen deß durchleüchtigen hochgebornen Fürsten
und Herrn, Herrn Maximiliani, Pfalzgravens bei Rein,
Hertzogs in Ober- und Niderbayern under Herrn General
Tilli in der Pfalz umb Wimpffen6 an der Württemberg-
ischen Grentzen und sonsten aller Orten ligender, sodann
deß auch durchleüchtigen hochgebornen Fürsten und Herrn,
Herrn Johann Friderichen, Herzogen zu Württemberg und
Teckh, Gravens zu Mümppellgart7, Herrns zu Haidenheim8,
in dero selbst und deß Schwäbischen Craißes alß deßen
Oberisten und derselben Craiß-Stende Nammen, habenden
Kriegsvolkh und Soltatesca zu Roß und Fuoß, jezo und
inskünfftig solle gehalten werden und interim9 biß zu
felliger Ratification10 und Außferttigung beider
Herrn Principalen selbsten, hiemit crefftiglich11 ver-
glichen werden.
1.
Soll zu beeden Theilen, da bißhero etwaß ungleichs oder einiger
Mißverstandt vergangen, solches gentzlich cassirt, todt und
ab sein, von keinem deßen hinfüro mehr gedacht. Sonder
zwischen den Officirn und Soldaten gut Vertrawen und
alle Freündtschafft vortgepflanzt und continuirt12 und
von keines Theils Soldaten widrige oder spettliche Reden
gegen dem andern Theil zu führen zugelaßen oder ge-
litten, sondern vilmehr durch die Officirs ernstlich
gestrafft werden. Doch soll dabeneben allen Officirs
wider diejenige, so under irem Commando und
etwa wider einer oder anderer Armeen Soldaten
gefrevelt hetten, gebürende Bestraffung sampt
6 Stadt Bad Wimpfen HN.
7 Grafschaft Württemberg-Mömpelgard; umfasste in der Zeit von 1397 bis 1796 die zu Württemberg gehörenden Gebiete um Montbéliard (frz. Stadt im Département Doubs in der Region Bourgogne-Franche-Comté).
8 Stadt Heidenheim an der Brenz HDH.
9 Lat. = zwischenzeitlich, übergangsweise.
10 Bedeutung: „Ratification“ = Genehmigung, Bestätigung.
11 Bedeutung: „crefftiglich“ = kräftig; hier: nach besten Kräften, nach bestem Vermögen.
12 Bedeutung: „continuiren“ = beibehalten.
Restitution13 deßjenigen, waß einer dem andern abge-
nommen hette, zuthun vorbehalten bleiben.
2.
Es soll auch den Soldaten verbotten sein, ohne Vorwißen
irer Obristen, Rittmeister oder Capitainis in den
Quartieren oder sonsten anderer Orten nicht zusammen-
zukommen, vil weniger miteinander zu practiciren,
traficiren14 oder Handthirungen, darauß Mißverstend
nit springen möchten anzustellen. Da aber uff Erlaub-
nuß und mit Wißen obgemelter Officiers einer
zu dem andern geschickht oder reiset und zu thun hette,
solle solcher daß Seinig fürderlich und unauffheltlich
verrichten und sich aller Orten bescheidenlich erzeigen.
3.
Soll kein Theil, wann von deß andern Theils Principalen
oder deßen nachgesezten Officirs, Cavallieri, Curier oder
sonsten geschickht, so Patenten15 oder Paßbrieff16 haben, wa
auch Salva Guardia17 angeschlagen oder gelegt, solche Vistirer18
verschimpffen, verhindern, auffhalten, plündern oder
sonsten, wie daß Nammen haben mag, vergwaltigen, sondern
ein Theil dem andern sein Geschickhte frey, sicher und ohne
spoliert vortpaßiren19, auch die Salva Guardien
unvernachtheilt und ohntespectirt20 laßen.
4.
Soll alles Außreüten und ohn Außlauffen ohne richtigen
Paßzettel deß Officirs oder der Officier selbst bei sein
verbotten und dahin verglichen sein, daß wan ein oder
13 Lat. = Rückerstattung.
14 Bedeutung: „traficiren“ = Handel treiben, verkehren.
15 Bedeutung: „Patente“ = Freiheitsbriefe, Bestallungsschreiben, Gewerbescheine.
16 Bedeutung: „Paßbrieff“ = Passierschein.
17 Die „Salva Guardia“ war ein Schutz- und Geleitbrief, der ursprünglich vom deutschen Kaiser verliehen wurde. Mit dem Salva Guardia-Privilegium wurden Personen, Familien und Körperschaften erblich bzw. dauerhaft unter den Schutz des Kaisers und des Reiches gestellt.
18 Bedeutung: „vistiren“ = besichtigen, untersuchen, durchsuchen.
19 Bedeutung: „ohne spoliert vortpaßiren“ = ungeplündert/unbeschadet weiterreisen; sich fortbewegen, ohne beraubt/drangsaliert zu werden.
20 Bedeutung: „ohntespectirt“ = sinngemäß: unangetastet; wörtl.: nicht inspiziert, nicht in Zweifel gezogen.
die andere Part einen dergleichen verdechtigen Soldaten
in seinen geeligen21 Quartier oder Bezürckh bekompt, solchen
festzuhalten und dem andern Theil zu verstendigen
auch auff Begehren zu straff zu lüffern22.
5.
Weil daß Außreütten der Soldaten zue Roß und Fuoß,
so gemein würdt, so soll kein Theil dergleichen Gesellen, alß
an welchen ohne deß nit vil besonders, wißendtlich acceptirn,
sondern solche uff ir Anmelden oder Erfahren festmachen.
Und dem Theil, deme sie entwüchen zuschickhen, wie dan
insgemein außtruckhlich verbotten sein, daß kein Theil
deß andern Kriegsvolkh oder andere Zugehörige dem-
selben abspannen und zuwider machen23 solle.
6.
Es soll under den Bayerischen Officiers oder Soldaten
keiner sich gelusten laßen, weder in den württemberg
und den Schwäbischen Craißes Quartieren oder Gebietten,
noch auch in andern under diser Vergleichung nit begrifen-
en Landen und gegen dero angehörigen Underthanen und
Zugewandten, under waß Schein es auch beschehen möchte,
einige Garnison, Quartierung, Durchzüg, Proviant,
Funrrage24 oder sonsten ichtwaß mit Gewalt im gering-
sten nicht zu suchen, noch auch den Bawersman an seiner
Veldarbeit zu hindern oder abzutreiben. Vil weniger
mit Einfallen, Plündern, Beüten, Rauben, Brennnen,
Rantzionieren25 oder andern Thättligkeiten, wie die gleich
Nammen haben, etwaß understehen, noch mit dergleichen
und anderm zu Nachtheil der Herrn selbsten oder irer Underthanen
21 Bedeutung“ „geeligen“ = befindlichen (wörtlich: gelegenen).
22 Bedeutung: „zu straff zu lüffern“ = der (verdienten) Strafe auszuliefern.
23 Bedeutung: „abspannen und zuwider machen“ = abspenstig machen und gegen etwas aufbringen, schlechtmachen.
24 Frz. fourage = Pferdefutter, Verpflegung.
25 Fordern von Lösegeld für Entführte.
deren im Landt ligender Guarnison oder Salva Guardia
handlen, gleichmeßig sich dan die württembergische und
dises Craißes Soltatesca gegen den Bayerischen in
allem erzeigen soll. Da aber wider Versehen der-
gleichen etwaß von den Officirn und Soldaten wie
obstehet understanden und kein Erinnern helffen,
sondern mit Gewalt durchgesezt werden wollte, soll
jeglicher Theil, dem es begegnet, frey und bevorstehen,
die Obwehr mit Gewalt und Ernst zu thun und sich
der Thätter in seinem Bezürckh und Commando uff
waß Weiß und Weg es immer sein kan, zu bemechtigen,
und sie irem Verdienst und seinem guten Wolgefallen
nach abzutreiben. Solches alleß und da sie beschädigt oder
gar uff dem Platz bliben26, soll von dem andern Theil,
deme sie zustendig, weder alßdan oder hernacher
anderst nicht alß vor Recht erkandt oder uffgenommen
und zum wenigsten für kein Fendseligkeit angezogen,
noch auch solcher Gestalt uff gantz kein Weiß noch Weg
nimmermehr gerathen27. Würde man aber die Thetter bei
den Köpffen und gefangen bekommen, selbige zu irem
Regiment uff Begehren wider geliffert und von iren
Obern ernstlicher Gebühr und unnachlößlich abgestrafft
werden.
7.
Es sollen auch die Commertia28 insonderheit mit dem Wein
zwischen beeder Herrn Principalen Soltatesca und Underthonen
in alweg frey sein, auch niemandt sonderlich die Marcaten-
ter29, dafern selbige ordenliche Paßzettel fürzuweißen, deßwegen
angespengt30, verhindert und geblündert werden. Alles bei
höchster Leibsstraff. Jedoch solle bei den Herrn Principalen
und allen in disem Accordo31 begriffenen und nachfolgenden
ohnbenommen, sondern bei jezigen hochbeschwerlichen Theürungszeiten
in iren Fürstenthumben, Herschaften und Obrigkeiten iren
Underthanen zum Besten Ordnung zu machen vorbehalten sein.
Auch diser Accordt den albereit angestelten und publicirten
Ordnungen nichts teragieren32 oder benemmen.
8.
Da auch sonsten insgemein einige Unglegenheit oder Wider-
willen entstehen oder von den Officirn oder Soldaten obigen
Puncten, sampt oder sonders heimblich oder offendtlich zuwider
gehandlet würde und die Thätter eintweder in ire Quartier
oder sonsten, daß der Beleidigte irer mechtig worden,
entwichen, sollen ire Obersten und Officiers alßbalden
wie solches zue stillen und die Thätter müglichst zur Handt zu
bringen, Fleiß anwenden. Sie auch ernstlich und ohnnachläßlich
abstraffen und also hierinen die wenigste Verbitterung
nicht verursachen oder underhalten helffen.
Under dißem Verglich solten neben dem Herzogthumb
Württemberg und deßen Underthanen alle Schwäbische Craiß-
stendt zusampt der Schwäbischen Reichsritterschaften iren
Underthanen und Güetter nicht weniger alle irer Durch-
leüchtigkeit in Bayern, sodann in gleichen auch ire Fürstliche Gnaden
zue Württemberg hohe und nidere Kriegsofficier, sonderlich
29 Händler im Tross der Truppen.
30 Bedeutung: „angespengt“ = angegriffen.
31 Bedeutung: „Accord“ = Übereinkunft; im politischen und militärischen Sinn: Einigung (besonders nach vorangegangener Kapitulation); im Handelswesen: Vergleich.
32 Verkürzt für lat. „interagieren“ = wörtl.: zwischentreiben; hier: zuwider handeln.
aber irer Gnaden, Herrn Graff Crafften von Hohenloe Graff-
schafft, alß welche anß Herzogthumb gräntzet, nicht weniger
deß Teütschen Ordens hierumbligende und angrentzende
Dörffer und Fleckhen, so dann beederseits Lehen-, Schuz- und
Schirmbßverwandten mit allen iren Aigen- und Lehens-
underthanen und Zugehörigen, iro und deren Hab und
Güettern ohne Underschied mit eingeschloßen und begriffen
sein, deßen auch solchergestalt und vor sich, wie obstehet,
zu genießen haben.
10.
Uber obgemelte Puncten sampt und sonders wollen sich
höchst- und hochgedachte Herrn Principalen gegeneinander
uffs aller eheist gebürendt ercleren, zue welchem Ende ir
Fürstliche Durchlaucht durch eine sonderbare Absendung in Nammen deß
Schwebischen Craißes nachersucht werden. Inmittelst sollen
sie umb mehrer Nachricht, und damit keiner der Unwißen-
heit sich zu entschuldigen, zwischen beederseits Kriegsvolkh
in allen Quartirn durch die Trompeten außgeblaßen
und geruoffen, auch darneben denen sampt und sonders
jederzeit gehorsamlich nachzusezen und im geringsten
Darwiderzuhandlen bei ernstlicher unnachlößiger Leib-
straff gebotten sein.
Zue mehrer Urkundt und Becrefftigung deßen, haben sich
interim biß zu völliger Ratification und Außferttigung
höchst und hochgedachter Herrn Proncipalen uff Seiten irer
Gnaden, Herrn Generaln Tilli, denen diser Accord und
Abhandlung umb sein Ratification eheist uberschikht
werden soll, Herr Levin von Mortauigne, General
von der Artillerie und Obrister, uber ein hochteütsches
Regiment zu Fuoß uff Seiten aber irer Fürstlichen Gnaden zu
Württemberg ir gnädiger Herr Graff Crafft von Hohenloe,
Ritter, alß dero General-Leüttenant underschriben und
ire angeborne Insigell33 hievor truckhen laßen. Geschehen
in deß Heiligen Reichs Statt Heilbron, den 18./28. Junii 1622.
Loco Sigilli34 Crafft
Loco Sigilli Levin von Mortaigne
Quelle | Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 90 A Bü 37, fol. 74ff. |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |