Gemeinde Unterderdingen an Amt Derdingen 1622
Schultheiß und Gerichtsmitglieder von Unterderdingen1 berichten dem Amtmann des Amtes Derdingen2 Georg Beihel3 über Plünderungen und Zerstörung ihrer Habe an Vieh, Gebäuden und Hausrat durch verbündete Soldaten des Hauptmanns Schaffeletzki4.. Sie weisen in diesem Zusammenhang besonders darauf hin, die Soldaten hätten mehrfach einen falschen Alarm gegeben und behauptet, der Feind stände vor den Toren, um die Dorfbewohner dazu zu bringen, sich auf die Flucht vorzubereiten und ihr Hab und Gut zusammenzupacken, welches ihnen dann von den eigenen Verbündeten sofort abgenommen wurde, bevor auch der in den Häusern verbliebene Rest von diesen geplündert worden sei. Dieses Schreiben fügte das Amt Derdingen im Jahre 1624 seinem Bericht an das Kloster Herrenalb5 abschriftlich als „Beilage A“ bei.
Unterderdingen, 12./22. Juli 1622 (Abschrift)
A.
Ehrnvöster, vorgeachter, insonders günstig gebietender
Herr Ambtman. Obgleich wohl Euer […] sich zweifelsfrey
noch unvergeßen gnädigst zu entsinnen wißen, daz derselben
wie diser Tagen weegen bey unß durch Capitan Schave-
litzki hieher zur Defension6 gelegte geworbene Soldaten
ohncrüstlich veryebter7 Plünderung Ambts wegen ge-
klagt, jedoch weill ein soliches ufs Papir zue bringen
unß befohlen worden, alß geben denselben wir hiemit noch-
mahlen ufs Kürtzigst unnd Schlaynigste, so zu Verhuetung
größern Unhails immer muglich under dienstlich zu
vernehmen. Alß verschinen8 Freitag gegen Abendt
gedachtes9 Capitani Schavelitzki gantze Compagnia allhie
bey unß angelangt, auch gleich selbige Nacht ihre Wachten
versehen mueßen, daß nicht alle in die gemeine Soldaten,
Gefreyten unnd andere Officianten sich volgenden Tags
her nach offentlich vermerckhen laßen, daß zue besorgen
selbige Nacht yber diser unser Fleckh von Bayerischen
überfallen, gestirmbt unnd geblündert werden möchte.
Sonderes ist auch ein solches von deßen Veldtwaibeln10
selbssten demjenigen, bey welchem er sein Quartier
gehabt, gesagt, darüber gewart undt darbey so
vihl Nachrichtung11 unndt Anlaitung geben worden,
daß wann die Soldaten zum Fleckhen hinausweichen,
es nicht anderster daran alß daz alles yber ein
Hauffen gehen würde. Deroweegen er alßbalden
mit seinem Vich unnd besten Sachen ihnen nachziehen
möchte unndt uf deßen Verwaigern gegen ihme
verners vermeldt. Da er ihr zue weichen nicht begehr,
soll er nur in seinem Hauß bleiben, so werde ihme auch
nichts geschehen, welches einer dem andern nach und nach
endteckht. Alß selbigen Abendt nun die gantze Compag-
nia zusamen für deß Capitans Losament12 gefordert
undt darnach die ein Corporalschafft uf die Wacht
gefüehrt, die ubrigen aber uf ein gantze Stundt
in die Wehr gestellt, ist erstlichs umb die Abendt-
Glockhen-Zeit im Fleckhen ein blinder Lerm13 gemacht,
darauf der Fahn sambt dem Munition-Waagen
strackhs in daz Oberdorff convoirt14. Unß vorhin gar
angefochtnen, bekümmerten Leuthen aber von den Soldaten
uf deßhalb gehabte Nachfrag, waz diß alles zue be-
deuten, nichts anderster zur Antwort worden, allß
daz der Feindt vor der Thür unndt wir noch selbige
Nacht nichts Gewißers alß ein Einfall unnd Blinder-
ung zue befahren, derowegen ein jeder seine besste
Sachen so guet er köndt außer dem Weeg raumen
unndt hinweeg thuen möchte. Sich also damahlen gegen
unß gestellt, alß ob sie mit unß groß Mitleidenn
unndt alleß zum Bessten meinten. Auch hierdurch
under den Leuthen ein solchen Schreckhen gemacht, daß
etliche under unß ihre Weib unndt Kinder bey
eiteler Nacht auß dem Fleckhen hinaußgeschickt,
unndt weill wir vorhin gar im geringes geflehenet15
unndt hinweeggethan, sondern unß vihlmehr deß
zwischen Bayern etcetera deßhalb getroffenen Accorts16
getrosstet, haben gleichwohl etliche in der Angst
unndt Schnelle ihre ubrige beste Sachen mit sich hinaus
zu nehmen vermeindt. Aber weill selbige Nacht unge-
vahr umb 11 Uhren die uf der Wacht ein guets vorm
Fleckhen draußen mit Gebung zweyer oder dreyer
Losungsschütz17 abermahlen einen blinden Lermen ge-
macht, darauf die Soldaten uf ein Newes zusamen-
geloffen unndt ohngeachtet von den Unserigen, so zur
Schiltwacht hinaußgangen unndt deßhalb nachge-
forscht, keinen ainigen Menschen weder sehen noch hören
könden, uf Newes vorgewendet, daz alberait der
Feindt vorhanden. Auch darauf die Werren schracks
beschloßen18 undt an Vich, Vahrnus19 unndt Haußraht nichts
weiters hinauß verfolgen laßen wollen, unser aber mit
Weib unndt Kinder zue fliehen zuegesprochen. Alß hat
der weniger Thail under unß gar ein Schlechtes hinaus-
gebracht, sonder die Soldaten insgemein haben sich gleich
undersstanden, die Wägen uf freyer Gaßen offent-
lichen zue spolieren20, aller Ohrten fleißig Schiltwachten
bestellt unndt unß arme Leuth darvon verjagt. Darauf
selbige Nacht unndt volgenden Sontags yber ihrem
selbsst Anzaigen nach alleß yber ein Hauffen ganngen,
indem nicht nuhr sein Capitan Schavelitzki Compagnia,
so einig unndt allein der Anfänger, sonder auch folg-
endts andere Thails, auch vorhin allhie gelegene Sol-
daten, ußer iren Quartieren geloffen, anfangen die
Thüren zue offnen, waß noch beschloßen geweßen
alles zertretten, versprengt, Keller, Kissten unndt
Cässten uffgeschlagen, waß ihnen gefallen heraußge-
nommen, gantze Plünder21 zusamengeropf22, thails
verkaufft, einesthails aber durch ihre bey sich
gehabte Weiber unndt Preken23 hinaußtragen laßen;
die Stechkälber24 geschlagen unndt thails lebendig,
sambt gantz Vierling Wein, zue ihrem Abzug
mitgenommen. Inmittelst die Schweinn,
Ganß unndt Huener uf freyer Gaßen gefan-
gen, nidergeschlagen, zerhawen, gestochen, gesotten
unndt gebraten, mehrerthails Tag undt Nacht
voll undt toll gewesen. Undt ein solch Zechen
unndt Praßen in Heusern unndt uf der freyen
Gaßen bey den Wachten angefangen, alles
mit Gewallt. Unndt vihl in unserer selbst
Beyweesen25 hinweeggenommen, etliche gezwungen,
daz sie ihre Truchen selbssten aufschließen und mit
Schmertzen zuesehen mießen. Ußer unsern Kellern
den Wein mit Kibln, Gellten, Hafen unndt andern
Geschürren, auch ußer den Heusern gantze Blünder
Klaider unndt Leinwaht, ja etliche unsere ufer-
legte Rüstungen unndt Gewehr entfrömbdet und
mit sich hinaußgetragen. Darzue inß Capitans
Losament selbssten 2 Wagen mit Früchten, Zihn-
unndt Kupfergeschürr26, auch andern deß bessten
Haußraths ufladen, die Schänen27 ob unsern Rädern
schlagen unndt neben allerhand Kuchinspeißen28
Schmaltz, Schnitz, vihl gebranten Wein, Flachs
unndt dergleichen Sachen mitnehmen laßen. So volgends
mehrerthails dem Obrissten selbsten wir laider
mit usern aignen Roßen hinweegfuehren mueßen.
Also in Summa yber die Maßen so alles zuen zahlen
unmüglich, mechtig ybell undt erbärmlich hauß-
gehallten, so der Feind selbssten ußerthalb Bren-
nens unndt Niderhawens arger nicht machen können.
Dan sie nit allein unß daz Unsrig, sonder sowohl auch
den armen vatterlosen Waisen daß Ihrig gantz hinweeg-
genommen, besonders waß an Klaidung, Thuech unnd
Leinwaht29 zuegegen geweßen, wie nicht weniger
Schaufell, Axt, Hawen30 unndt ander Geschürr31 zerschlagen,
verwuesst unndt mehrerthails mitgenommen, alß
daß wir für auß unsere Feldtstückhlin nicht mehr
bawen könden. In Summa alles ist breiß32 gewesst,
haben vorgewandt unndt unß mit der Worhait
bezüchtiget,33 alß ob wir alle (reverenter34 zu schreiben)
wie Schelmen35 ußgerißen unndt wider wie Schelmen kom-
men, da es doch (wie sichs hernach im Außkeren36
befunden) vonn ihnen ein lauter angestellt Werkh
gewesen unndt sie unß selbssten anfangs unsere Sachen
haißen flehenen, so sonsten nimmermehr geschehen were.
Darzue der weniger Thail von Manschafft uß
dem Fleckhen kommen, die aber, besonders allte Leuth,
so mit Weib unndt Kindern gewichen37, seye der
mehrer Thails weiter nicht alß in daz Ober-
dorff, so ohnedaz38 nur ein Gmeind, weniger Thails
aber bloß nacher Sternenfelß39 geloffen, die Schlüßel
zum Keller den Soldaten zue ihrer Underhalltung40
selbige Nacht vertraut unnd hinderlaßen, volgendt
Morgens aber in Frue sovihl die Manschafft
anbelangt im Fleckhen sich gleich wider eingestellt
unndt von Hauß unnd Hoff niemahln zu weichen be-
gehrt. Die Soldaten aber haben von unß Bawren
uf der Wacht niemanden bey ihnen gedulden wollen,
unndt wan diese Compagnia noch lenger allhie
verharrt, ist der Anstall schon gemacht, auch die Faß
allberait gerüsst gewesen, daz man alle unsere ubrige
Früchten unndt Wein ins Oberdorf gefuehrt unnd
under die Soldaten preißgeben hete. Wie dan bißher
nichts sichers gewesen, undt waz einer noch findt,
daz ihm gefellt41, nimbt er dis Tags noch hinweeg.
Umb welcher aller Ursachen Willen wie nohttrungen-
lich bewegt, werden ein solches mit mehrer n Umb-
standen unserm gnädigen Fürsten unndt Herrn etcetera supplicando42
underthonig zue clagen.
Welches Euer […] wir dißmals ambtsweegen nicht
wollen verhallten, beneben demselben in Gunsten
unß underdinstlich43 befehlendt. Datum den
12. Julii anno 1622.
Dem ehrnvösten, vorgeachten hohen
Georg Beiheln, Ambtman allhie zue
Dertingen etcetera, unserm insonders gnädig
gebietenden Herrn.
Schulthaiß unndt Gericht
in Nahmen gantzer Ge-
mein zu Underterdingen.
1 Historischer Teilort der Gde. Oberderdingen KA.
2 Oberderdingen KA (bis 1835 Ober- und Unterderdingen).
3 Beyhel, Hans Georg (verst. 1627), von 1616–1627 Amtmann zu Derdingen (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 3379).
4 Mitglied der württembergischen Beamten- und Offiziersfamilie Schaffalitzky von Muckadell.
5 Stadt Bad Herrenalb CW.
6 Lat. = Verteidigung.
7 Bedeutung: „ohncrüstlich veryebter“ = barbarisch (wörtl.: unchristlich) verübter.
8 Bedeutung: „verschinen“ = vergangenen [Freitag].
9 Bedeutung: „gedachtes“ = des erwähnten [Hauptmann Schaffalitzkys ganzes Regiment].
10 Bedeutung: „Veldtwaibeln“ = Feldwebeln.
11 Bedeutung: „Nachrichtung“ = Nachricht, Information.
12 Bedeutung: „Losament“ = Quartier, Wohnung; im Militärischen: einfache provisorische Unterkunft.
13 Bedeutung: „ein blinder Lerm [machen]“ = einen unbesonnenen/dummen/irreführenden Lärm [veranstalten]; einen falschen Alarm geben.
14 Bedeutung: „convoirt“ = geleiten, begleiten.
15 Bedeutung: „flehen/flehnen“ = in Sicherheit bringen, wegschaffen.
16 Bedeutung „Accort“ = Abkommen, Übereinkunft; im politischen und militärischen Sinn: Einigung (besonders nach vorangegangener Kapitulation).
17 Bedeutung: „Losungsschütz“ = Losungsschüsse (Signal als Warnung vor heranrückenden Einheiten).
18 Bedeutung: „die Werren schracks beschloßen“ = die (Wehr-)Tore sofort versperrt/verschlossen.
19 Bedeutung: „Vahrnus“ = fahrende Habe, Fahrgut.
20 Bedeutung: „spolieren“ = berauben, plündern.
21 Bedeutung: „Plünder“ = zunächst Kleidung, Bettzeug und sonstiges Hausgerät, dann überhaupt allerlei Gerät und Zeug, besonders unwerte Sachen, woraus sich später dann der Begriff des Geringschätzigen, Verächtlichen entwickelt hat (Plunder).
22 Bedeutung: „zusamengeropf“ = zusammengerafft.
23 Bedeutung: „Preken (auch: Pecken)“ = Dirnen, Huren.
24 Bedeutung: „Stechkälber“ = männliche Kälber.
25 Bedeutung: „in unser selbst Beyweesen“ = in unserem Beisein, vor unseren Augen.
26 Bedeutung: „Zihn- unndt Kupfergeschürr“ = Zinn- und Kupfergeschirr.
27 Bedeutung. „Schänen“ = Speichen.
28 Bedeutung: „Kuchinspeißen“ = Küchenspeisen.
29 Bedeutung: „Leinwaht“ = Leinenstoffe.
30 Bedeutung. „Hawen“ = Hacken.
31 Bedeutung: „Geschürr“ = [in diesem Zusammenhang:] Ackergerät.
32 Bedeutung: „breiß“ = geschnürt, gepackt.
33 Übersetzung: „Wir haben eingewendet und wahrheitsgemäß versichert, dass alles [Hab und Gut] gepackt gewesen ist, […].“
34 Lat. = respektvoll.
35 Bedeutung: „Schelm“ = verworfener Mensch, Betrüger, Dieb.
36 Bedeutung: „im Außkeren [befinden]“ = bereit zum Abtransport [sein].
37 Bedeutung: „gewichen“ = geflohen, geflüchtet.
38 Bedeutung: „ohnedaz“ = ohnedies, ohnehin.
39 Sternenfels PF.
40 Bedeutung: „Underhalltung“ = Verpflegung.
41 Bedeutung: „gefellt“ = gefällt, zusagt.
42 Lat. = flehentlich; hier: um Hilfe ersuchend.
43 Bedeutung: „underdinstlich“ = untertänigst.
Quelle | Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 29 Bü 37 |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |