Bericht des Amtes Derdingen über die Kriegskosten bis 1624
Die Gemeinde Derdingen1, Sitz des Herrenalber Stabsamtes Derdingen, und ihre Amtsorte beklagen beim Prälaten2 des Klosters Herrenalb3, Elias Zeitter4, ihre sowohl durch feindlich-kaiserliche als auch durch verbündete Soldaten erlittenen verheerenden Kriegsschäden, von denen insbesondere die Hauptorte Ober- und Unterderdingen betroffen sind; sie beantragen, dass ihr Bittgesuch um finanzielle Entschädigung, ebenso wie bei den anderen geschädigten Ämtern, den gesamten Landständen vorgetragen werde. In allen Einzelheiten schildern sie die grausamen Ereignisse und den Mutwillen der Soldateska beider Seiten, die durch Brandstiftung, Plündern, Morden und Vergewaltigen so übel gehaust hätten, dass die ortsansässige Bevölkerung nicht mehr in der Lage sei, sich selbstständig zu ernähren und um Almosen betteln gehen müsse. Besonders drastisch wird eine Schwefelattacke auf die Kirche in Oberacker5 beschrieben, in die sich zahlreiche Dörfler mit ein wenig Hab und Gut hatten retten und verschanzen können und die man auszuräuchern versuchte, während der mitten auf dem Kirchhof totgeschossene Schultheiß, da man ihn nicht wegschaffen und begraben konnte, von Schweinen aufgefressen wurde.
Derdingen, 28. Januar/7. Februar 1624 (Abschrift)
Derdingen
und dessen ange-
hörige Ambts-
Fleckhen.
Ehrwürdiger hochgelehrter Euer […] seyen unser
gutwillige, geflißne Dienst jederzeitten bessten
Vermögens zuvor an, insonders günstiger
Herr Praelat.
Demnach alberait ein ersame Landschafft bey-
samen, alß haben wir nit underlassen wöllen,
Euer […] in Schrifften dienstlich zu berichten, wie un-
christlich und mehr denn ybel bey bißher langge-
wehrtem laidigen Kriegswesen in alhieigem6
Ämbtlin Derdingen, alß an einem Grenzort,
sowol von den Freinden selbsten alß den Fein-
den ganz erbärmlich haußgehalten7 worden.
Mit zumahl angehofftem dienstlichem Pitten,
dafer anderer verderbter Ämbter halber
bei jezigem Landtag etwas geclagt und
eingebracht werden solte, Euer […] wöllen
sich auch hierinnen gnädig anzunemmen undt
solch unser Beschwerdten mit Gelegenhait
vor den gesambten Landtständen schleünig
vorzutragen gnädig onbeschwerdt8 sein.
Betreffendt nun erstlichs beeden Fleckhen
Ober- und Under-Derdingen. Dieser beeder
Ortten ist durch die zu unser Defension9
hierher gelegte Soldaten und vermainte
Freindt selbsten zu Roß und Fuoß mit
Blindern10 und anderem Muetwillen bei
20.000 [Gulden] Schaden geschehen. Weil nun ein
solches gleich damahlen Herrn Ambtman
alhie von uns in Schrifften geclagt undt
volgendts von ihme zu fürstlichen Canzley ne-
ben seinem daryber gefertigten underthönigen
Bericht an gehörige Ort yberschickht, auch
entlich durch einen hieryber abgeordneten
Commissarium11 gebürend inquirirt12 worden.
Alß haben wir solche damahlen ybergebne
Schrifften und Clagpuncten wider ufgesuocht
und Euer […] pro Informatione hiervon Abschrif-
ten sub Litera13 A, B und C beygelegt. Dann
ob wir gleichwoln beinahend 2 ganze Jahr
lang stetigs Soldaten von geworbnem undt
Landvolckh mehrerthails in grosser Anzahl,
besonders vorferndigs Jars14, umb die Ernd-
zeit uf einmahl bei 1.100 Personen ein
zeitlang underhalten, sodann in etlich
Jahren her schwehre Durchzüg zu Roß undt
Fuoß erleiden und ußstehen müessen. Je-
doch, wail etcetera unser gnediger Fürst und Herr
uns derentwegen an Rockhen15 20, Dünckhel16
100 Scheffel17 und Gelt 2.000 [Gulden] ußer Gnaden zur
Recompens18 widerfahren lassen, haben wir des
usstenndigen Commiss19 halber ferner nichts
zu clagen, sonder den yberigen Verlust
vollendts mit Gedult an die Stürnen zu-
schmüzen20. Aber der Cavalleri bei uns ver-
yebten Muotwillens sodann, vorgangner
Blinderung wegen, sein wir an der zu
Brackhenhaim21 gehaltner Tagsazung von ire
Fürstlichen Gnaden Herrn General-Commißario Lämblin etcetera,
nach Befündung der Sachen Beschaffenhait, bil-
lichen Abtrags22 vertröstet worden. So doch
nach der Zeit umbsonst gewesen, dann
deßhalber das wenigste seithero erfolgt,
sonder wir haben nach der zu obige em-
pfangne 2.000 [Gulden] Recompens erst uf den
Ritmaister Schafelizki23, deßen Leütenant
und Cornet24, sodann die innerhalb zwayen
Jahren hero25 hieher quartierte Compagnien,
derselben Fenderichen26 und andere Officier,
wider verwenden und nichtsdestowe-
niger der gemein Mann das Seinig
noch weitters vergebens darschüessen
und hergeben. Also nicht allein sie sambt
iren Dienern völlig ußhalten, sondern
auch allein wegen des Ritmaisters in
5 Wochen uf die 600 [Gulden] für Früchten, Wein
und andere Victualien27 außbezahlen müessen.
Der darzu allen uf die ganze Compagni
verezten28 Habern wider gutzumachen
mit Betrowungen, die Cavallaria uns
sonsten ain Fahl Verwaigerns noch län-
ger uf dem Hals und unsern Uncosten
ligenzulassen, uns zugemuotet. Undt
kahn mit Grund der Warhait wol ge-
redt werden, das weder der höchst
und oberste noch der geringste Soldat
die ergangne Ordinanc29, ire Unter-
haltungen betreffendt, im geringsten
gehalten, noch sich mit geraichtem Commiss
benüegen lassen, sonder der Baursmann
ist alles zu bekommen. Und nit nur sie, sonder
auch ire bey sich gehabte Weiber, Peckhen30 undt
Kinder, deren manchmahlen bald halb so
vil als der Soldaten gewesen, neben dem
vor ihnen ein Veld an Obs, Trauben undt
allerhandt Kuchenspeißen nichts sichers ge-
wesen, ganz zu erhalten. Und alles ohne
ainiche Bezahlung vergebens herzugeben
von ihnen gezwungen, also durch alle Capi-
tain und derselben fürnembsten Offician-
ten der wenigste Heller dargelegt undt
erstattet worden. Und in welchem me-
niglich31 grosser Schad begegnet, haben sie
nit nun ganz umb beede Fleckhen herumb
alle Garttenzaun sambt den Thüren,
sonder auch in Weingarten die Pfeel32
vil Morgen ganz hauffenweis hinweg-
getragen und muotwillig verbrent; so
mancher arme Mann selbigen Jars
nit mehr zu Pfeelen vermögens gehabt.
Uf dem Rathhaus haben sie in ein verschlos-
sen Kammer mit Gewalt eingebrochen
und uns darauß ein grosse lindische33 Disch-
deckhin entwehrt, das zum Raißwagen34
gehörige Fuohr- und Sattelgeschürr sambt
etlich und 20 Feüraymer35 verschnitten und
verderbt. Aber ohngeachtet beschehenen
Beclagens und namhafft gemachtten
Thäters, alles ohngestrafft hingangen. So hat
auch der Proviant-Maisters Leüttenant
uf alle Officier, darunder ufs wenigst auch
die Spilleüth36, der Capitain bei sich gehabte vom
Adel, Jäger, deren Diener und Jungen be-
griffen, weder Commiss37 an Früchten noch je-
mahlen für dero vom Adel, gehabte Pferdt
das nothwendig Hew38 der Ordinanz39 entgegen
erkauffen und dargeben lassen. In Summa
alles ist ainig und allein uf den gemeinen
armen Mann zu seinem endlichen Verderben
gangen. Und darf doch nichts geclagt werden,
dann Herr Capitain Schafelizki zu Sternen-
fels40 an gehaltnem Vogtgericht offentlich ge-
redt haben solle, weil er von den von Der-
dingen verclagt worden, so müeß es noch
ein Kopf kosten. So hat auch ein anderer
Capitain den armen Waisen 2 Aymer
Wein, so sie damahlen gegen andern umb
40 [Gulden] verkaufft, abgenommen und mehr nit
darfür alß 6 Reichsthaler erstattet; darzu
etlichen Wein, so die zu Sternenfelß alhier
erkaufft und vorm Dorf im Hinausfahren
von den Kärchen mit Verlust iren Roß
von etlich bayerischen Reüttern verjagt
worden. Für sein Quartier und volgendtz
Haim in sein Haußhaltung füehren dem-
jenigen aber, so solcher Wein diß Tags
noch unbezahlt usstendig, kein gute Wort
noch wenigste Bezahlung hergeben lassen.
Oberacker
Diser Fleckh ligt ganz ußerhalb Landts. Weil
aber Capitain Freyherr vom Stain mit
seiner Compagni das Quartier zu Gochß-
haim41 nit yber einhalb Stundt von Ober-
ackher, sein Leütenant aber mit 60
Knechten sein Quartier zu Oberackher ge-
habt, haben sie den ganzen Fleckhen ver-
schanzt und sich dessen zwischen Bayern ge-
trofnen Accords42 getröstet. Da dann be-
sagter Leütenant inen von Oberackher
das wenigste zu flehnen43 nit gestatten
wöllen, iterim44 ist dieser Fleckh von der
bayerischen Cavalleri feindtlich yberfallen,
nach langem Scharmicieren45 an 7 under-
schidlichen Orten mit Verlust 31 Gebäw
in Brand gesteckht und erbärmlich in
die Äschen gelegt und all ihr Mobilien, von
Barschafft, alle Roß, Schiff und Geschirr,
die ganze Herd von Rindervich, Schweinen
und Schafen, deßgleichen all ihr Vor-
rath von Früchten, Wein, Leinwath, Haus-
rath, Klaidung und aller Victualien durch
Brunst und Blinderung gänzlich beraubt;
darzu das liebe Fruchtfeld bloß vor der
Ernd ganz und gar verritten, verhergt, ver-
wüst und verderbt worden, also das vil
Habern46 uf dem Feld ohngeschnitten stehen ge-
bliben und zusambt andern Früchten wegen
Unsicherhait und grosser Gefahr nit könden
haimbgebracht werden. Dann in disem
Fleckhen die Leüth insgemein also geängstigt
worden, das nach langem Scharmicieren
und Ufhaltung des Feindts (als man sich
ganz verschossen gehabt, von meniglich ohnge-
achtet etlicher Ortten außgeschickhte Potten47
gesuochter Hilf ganz verlassen und der Fleckh
schon im Brand gesteckht worden) sich Jung
und Alt, Weib und Kinder, Soldaten und Ge-
sündt zusamen anfangs uf den Kirchhof
und volgendts gar in die Kirchen hinein ver-
schlossen, deren sich etliche von Mann- undt
Weibs-Personen zuoberst in den hohen
Kirch-Thur n versteckht. Aber weil der Feind
die Kirchen mit Fewer anzusteckhen, auch
als sie entlich mit Gewalt hinauf in den
Kirchen-Thurn getrungen, diejenige, so
hinaufgeschloffen herabzuschüessen, kezer-
lich geschrihen. Und wir, volgendts
der Augenschein mit sich gebracht, ein
ganze Tragzainen voll Schwebelschnitten48,
dardurch die ganze Gemaind von Jung
und Alten wie ein Imen im Korb zu er-
steckhen und zu tödten49, bey sich gehabt, so yber et-
lich Tag hernach hauffenweis uf dem Kirch-
hof noch verstrewet gelegen, hat man
sich ergeben müessen. Da dann ein
jeder sein besste Sachen bey sich in der Kirch
verschlossen gehabt, welches durch des Feindts
schnellen Blindern50 und Beütten machen,
besonders wegen Nähin der Weingart51
und Wäldt, ohngeachtet schreckhlicher Ver-
wundung (ußerhalb des Schultheüßen,
so strackhs uf dem Kirchhof erschossen, und
weil derselbe etlich Tag wegen genom-
ner Flucht nit können begraben wer-
den, der Ortten von Schweinen angrif-
fen und, einsthails reverenter52 zu schrei-
ben, gefressen worden, sonsten der
mehrer Thails, biß noch an ein ainige
Manns-Persohn, so damahlen auch todt
gebliben) ihr grösstes Glückh gewesen.
Dann, obschon irer vil und besonders mehrer-
thails junge Weiber und insgemein
alle Töchter und Mägdt von ihnen ge-
fänglich hinweggefüehrt und ver-
muotlich barbarisch geschendet, so sein
sie doch ihnen nach und nach wider ent-
loffen und also beym Leben erhaltten
worden, bei welchem es doch nit ver-
bliben, sonder es seyen sie von Ober-
ackher gleich volgendts umb Martini53 hin-
aus von den Bayerischen wider feindtlich yber-
fallen, von Haus und Hof sambt Weib undt
Kinder uf ein Newes verjagt, und was uf
denselbigen Sommer hindurch an Früchten
und Wein in grosser Ängste und Schröckhen
mit saurer Müeh und Arbait sie bekommen,
dessen alles wider geblündert. Darzu
ihnen erst verndigen54 Früeling wider etliche
Roß, so sie bloß zuvor erkaufft, entwehrt55
und hierdurch zu solchen armen Leüthen ge-
macht worden, das sie ihr Feldt nit mehr
außhäbern56 könden und alberait diß
Tags der mehrer Thails im Fleckhen nach
dem hailigen Allmuoßen bettlen57 gehen
muoß, welcher durch Brunst und Blinder-
ung zugefüegte Schad dann sich yber die
20.000 [Gulden] erstreckhen thut. Seyen vor-
hin durch etliche Mannßfeldische58 Reütter
auch umb 150 [Gulden] rancionirt59 worden, und
würdt glaubhafft berichtet, alß dieser Fleckhen
vom Feind yberfallen und der Capitain
Freyherr vom Stain mit seiner yberigen
Compagni von Gochshaim aus ihnen zu Hilf
kommen sein solte, das er selbsten ohne Zweif-
fel ußer grossen Forcht in Pantofeln ohne
Huot, Kragen, Wammes, Stiffeln und Seit-
tenwehr entritten und nacher Derdingen
gewichen. Gestalt dann erst sein Diener
ihme solche Sachen aldahin gebracht, der sich
auch volgendts mit seiner Compagni nit lang
mehr zu ermeltem Gochßhaim gesaumbt,
sonder sich neher ins Land gemacht etcetera. So
hetten auch die inen volgendts allein zue
Salva Guardia60 eingelegte 2 Soldaten,
so in kurzer Zeit yber die 200 [Gulden] Unco-
sten gestanden, also das sie wegen so vil
gemachter Schulden ihr Leben lang zu be-
zahlen gnug hatten und uf ein grienen
Zweig zu kommen nimmermehr getrawen.
Gestalt sie alberait61 diß Jars ihr schuldige
Contribution62 und Landsteür ußer Man-
gel ainicher habender Losung63 laider
nicht mehr raichen noch erstatten könden,
sonder solch Gelt anderer Ortten umb
Verzinßung schwerlich entlehnen undt
uftreiben müessen etcetera.
Bainbrückhen64
Wie es derenden mit des Feindts Einfall
zugangen und was sich darzwischen ver-
loffen, das alles haben sie Herrn Ambtman
alhie in Schrifften außfüehrlich geclagt,
von welchem Schreiben denn umb ge-
wißer Nachrichtung willen hiebey sub
Litera D. Abschrifft65 beigelegt. Und ist
solcher Fleckhen, so vorhin gar arm gewesen,
follendts in Boden hinein ganz und gar ver-
derbt worden. Haben sich uf den getrofnen
bayerischen Accord und ihnen zur Defension
eingelegte württembergische Soldaten zu vil verlassen,
das wenigste geflehnet, und der Ursachen,
umb alles kommen ist, bey ihnen ein stetig Uß-
und Einwandern gewesen. Also das sie sich
beinahend den ganzen Sommer hindurch
nit mehr bey Tag derfen im Fleckhen
sehen lassen, wie dann der Schultheüß
vom Feind ergriffen und also jämerlich
zugericht worden, das er dessen in wenig
Tagen sterben müessen. Und obgleich woln
sie in obangeregtem irem Schreiben ufs
Höchste umb Convoi66 gebetten, damit sie
ihr yberig Bethgewand67 noch hetten heraus-
bringen könden, so wer doch ihnen nichts
wilfahrt, sonder zur Antwurt worden,
hetten nie vil gehabt, so können sie auch
nit vil verliehren. Beclagen also sie von
Bembrückhen dises vom Feind erlittenen
Verlusts und vorgangner Blinderung,
halten sich in allem yber die 6.000 [Gulden].
Berichten darbei, wann der damehlen
zu Gochßhaim quartierte Capitain Frey-
herr vom Stain sie mit etlichen irem
Vich und bessten Sachen, so sie aldahin zu flehnen
begehrt, zu Gochßhaim eingelassen undt
sie, sambt einer dreywocheigen Kindbet-
terin, wider Schultheüs und Gerichts da-
selbsten willen nicht also unchristlich ab-
gewisen, sie wol den halben Thail solchen
ires Verlusts erhalten haben wolten. Dar-
zu ohngeachtet diser vorgangnen Blind-
erung, so erst dem volgendts zu Derdingen
gelegnen Capitain gezwungnerweiß
ein Väßlin mit Wein verehren undt
darfür 115 [Gulden] sambt dem Uncosten
bezahlen und solch Gelt anderer Ortten,
so sie diß Tags noch schuldig, umb Ver-
zinßung entlehnen müessen; zu ge-
schweigen deß Yberfluß, so uf die Sal-
va Guardia gangen.
Gelzhaußen68
Dieser Fleckh ist zu underschidlichen Mahlen sowol
von dem Manßfeldischen alß bayerischen
Volckh geblündert, mit Weib, Kinder undt
Gesünd69 ellendlich verjagt und letstlich von
den Crabaten70 mit Verlust 24 der bessten
Gebäw in Brand gesteckht und erbärmlich
in die Aschen gelegt worden. Sein insge-
main also erarmbt, das sie selbiges Jars
wegen genomner Flucht, und das sie sich
den ganzen Sommer hindurch bei Tag nit
mehr im Fleckhen dörfen sicher sehen lassen, dan-
nenhero ir Veldt nicht der Notturfft nach
können zu Baw bringen71. Jez alberait ußer
Mangel ainicher habender Geltlaßung we-
der zu beissen noch zu brechen. Müessen sich
vil deß Betlens ernehren72, dann sie ainiche
Hilf niemahlen gehabt; beclagen sich ires
ganzen Verlusts in allem uf die 10.000 [Gulden].73
Spranthal74
Diser Ortten sein die Crabatten zu underschid-
lichen Mahlen eingefallen, was sie nit
geflehnet, alles geblindert, 7 Roß sambt
2 geristen Wägen75 und etlich Stuckh Rin-
dervich, ihren Vorrath an Leinwath undt be-
sonders all ire Früchten und Wein ent-
wehrt und hinweggefüehrt. Die ganze
Gemaind yber die 4 Wochen droußen
verjagt und inmittelst alle Thüren,
Truchen und beschlüssige Gemach verschlagen,
herhawen, und was inen gefallen, dar-
aus genommen. 5 Mannßpersonen er-
schossen und jämerlich umbs Leben ge-
bracht. In Summa alle zu solchen armen
Leüthen gemacht, das keiner dem an-
dern ainiche Hilf mehr thun oder erwei-
sen kohn, sonder müessen für aus sich
vil des Betlens ernehren. Achten iren erlit-
nen Schaden ufs nechst bei ¾ 6.000 [Gulden].76
Nußbohm77
In disem Fleckhen sein under Capitain Zwickhen
Compagni, so sein Quartier damahlen zue
Knitlingen78 gehabt, 25 Soldaten uf die
13 Wochen gelegen, und da man irer Hilf
am bessten bedärfft und die Gefahr am
grössesten gewesen, hat ir Capitain durch
seinen Leütenant Mitschelin sie widerumb
von ihnen abfordern und hinwegfüehren
lassen, den sie dann mit Flehen undt
Bitten und Verehrung 50 [Gulden], auch Uf-
wendung grossen Uncostens, bloß be-
reden könden, das er sie noch uf 3 Tag
yberlassen. Sobald nun dise Soldaten
her nach hinweg kommen, seyen strackhs
am dritten Tag hernach die bayerischen
Reütter bey ihnen eingefallen, alle alte
Mannspersohnen, so sie angetroffen, ni-
dergehawen, darunder 8 uf dem Plaz
gebliben und gleich gestorben sein. Was
sie in Häusern noch gefunden und sie nun
ein Tag zwen zuvor nicht geflehnet ge-
gehabt, besonders die Stechkälber79 und Schwein,
vornemblichst aber Frucht und Wein, so
man in Eyl sobald nit können fort-
bringen, vollendtz entwehrt, alle Druchen80
und verschloßne Gemach eröfnet, verschla-
gen und zerhawen; meniglich von Mann
und Weib, Kinder und Gesünd ußerm
Fleckhen verjagt, die sich darin lange
Zeit nit mehr dörfen sicher sehen lassen.
Und ob sie schon iren Haußrath zum Thails
nacher Öhlbronn81 gefüehrt, so weren
sie doch volgendts der Ortten auch dar-
umb kommen. Und weil zumahl 6 Bäw
mit Fewer angesteckht und uf dem Bo-
den abgebrandt worden, beclagen sie
sich ires erlitnen Schadens halber uf die
12.000 [Gulden].82 Dann die ihnen volgendts
zur Salva Guardia eingelegte 2 Soldaten
uf ein halb Jar lang sie yber die 500 [Gulden]83
Uncosten gestanden. Und weil solche
Knitlinger Soldaten bey ihnen alle Weg,
Steeg und in den Häusern die besste Ge-
legenhait gewust, seyen volgendts
dieselben in vier Wochen, und die Zeit
sie von Nußbohm sich nit mehr im Fleckhen
dörfen sicher sehen lassen, selbsten hauf-
fenweiß aldahin gehn Nußbohm geloffen,
und was die Bayerische ligen lassen, sie vol-
lendts mitgenommen und hinweggetragen.
Also sie an Bethgewand und Leinwath ihnen
mehr Schaden zugefüegt als vorhin der
Feindt gethan; dannenhero84 die ver-
mainte aigne Freindt an ihnen mehr
dann ybel haußgehalten.
Welches alles Euer […] wir so vil in Eyl diß-
mahlen gewin könden, mit Grund der
Warhait dienstlich zu yberschreiben nit
wollen underlassen, dann deroselben
nach Mügligkait alle angenehme Dienst-
willigkaiten zu erweißen seyen wir
jederzeit sonders genaigt, dieselb
göttlicher Allmacht in dessen vätter-
lichen Schuz und Schirmb, zumahl hailwert-
tig dero aber zu Gunsten uns jeder-
zeit dienstlich wol bevehlendt raptim85.
Derdingen, den 28ten Januarii anno 1624.
Euer […]
jederzeit dienstbereite undt
guotwillige
Schultheüs, Burgermai-
ster, Gericht und Rath
zu Derdingen und des-
selben angehörigen Ambts-
fleckhen.
Dem ehrwürdigen und hochgelehrten
Herrn Eliae Zeittern, fürstlich württembergischen
Rath und Praelaten des Closters
Herrenalb etcetera, unserm inson-
ders günstigen Herrn.
Summa
——— 72.965 [Gulden].86
1 Oberderdingen KA (bis 1835 Ober- und Unterderdingen).
2 Bedeutung: „Prälat“ = hoher, vornehmer Geistlicher (im nachreformatorischen Württemberg evangelischer Kosterabt).
3 Stadt Bad Herrenalb CW.
4 Zeitter, Elias, 1617–1627 Abt des Klosters Herrenalb (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 3375).
5 Oberacker, Stadt Kraichtal KA.
6 Bedeutung: „alhieigem“ = unserem hiesigen.
7 Bedeutung: „ganz erbärmlich haußgehalten“ = aufs Übelste verwüstet.
8 Bedeutung: „onbeschwerdt“ = frei, ungehindert, ungestört, nicht belastet.
9 Lat. = Verteidigung.
10 Bedeutung: „Blindern“ = Plündern.
11 Bedeutung: „Commissarius“ = Bevollmächtigter, Beauftragter, Gesandter.
12 Bedeutung „inquirirt“ = untersucht.
13 Lat. = unter Buchstabe. Hier betreffend Beilagen: A. Unterderdingen; B. Oberderdingen; C. Amt Derdingen.
14 Bedeutung: „vorferndigs Jars“= im vergangenen Jahr.
15 Bedeutung: „Rockhen“ = Roggen.
16 Bedeutung: „Dünckhel“ = Dinkel.
17 Der „Scheffel“ ist ein altes, regional variierendes Getreide- bzw. Hohlmaß.
18 Bedeutung „Recompens“ = Entschädigung, Ersatz, Ausgleich.
19 Bedeutung: „Commiss“ = Sold und Verpflegung für Soldaten.
20 Bedeutung: „an die Stürnen zuschmüzen“ = im Sinn behalten, nicht vergessen (wörtl.: an die Stirne schleudern).
21 Stadt Brackenheim HN.
22 Bedeutung: „billichen Abtrags“ = angemessene(n)/rechtmäßige(n) Entschädigung/Ersatz.
23 Mitglied der württembergischen Beamten- und Offiziersfamilie Schaffalitzky von Muckadell.
24 Bedeutung: „Cornet“ = Fahnenjunker.
25 Bedeutung: „innerhalb zwayen Jahren hero“ = im Verlauf der vergangenen zwei Jahre (wörtl.: innerhalb von zwei Jahren her).
26 Bedeutung: „Fenderich(en)“ = Fähnrich.
27 Bedeutung: „Victualien“ = Lebensmittel (aus dem Lat.: victualia).
28 Bedeutung: „verezten [Habern]“ = verfütterter [Hafer].
29 Bedeutung: „Ordinanc“ = Verpflegungsordonnanz; entstanden im Dreißigjährigen Krieg, um die Soldaten durch die Zusage fester Versorgung mit Lebensmitteln durch den Kriegsherren von Plünderungen abzuhalten.
30 Bedeutung: „Peckhen“ = Dirnen, Huren.
31 Bedeutung: „meniglich“ = jedermann, allen.
32 Bedeutung „Pfeel“ = Pfähle.
33 Bedeutung: „lindisch“ = aus Leinen (Leinentischdecke).
34 Bedeutung: „Raißwagen“ = Packwagen, Frachtwagen für Feldzüge; seine Bereitstellung einschließlich der Zugtiere und Knechte gehört zum Reisdienst der Untertanen.
35 Bedeutung: „Feüraymer“ = Feuereimer (Löscheimer) aus Leder.
36 Bedeutung: „Spilleüth“ = Trommler und Pfeifer.
37 Bedeutung: „Commiss“ = Verpflegung der Soldaten, Heeresvorräte.
38 Bedeutung: „Hew“ = Heu.
39 Bedeutung: „Ordinanz“ = Anordnung, Vorschrift, Befehl.
40 Sternenfels PF.
41 Gochsheim, Stadt Kraichtal KA.
42 Bedeutung „Accord“ = Abkommen, Übereinkunft; im politischen und militärischen Sinn: Einigung (besonders nach vorangegangener Kapitulation).
43 Bedeutung: „flehnen“ = in Sicherheit bringen, wegschaffen.
44 Interim (lat.) = inzwischen, unterdessen.
45 Bedeutung: „Scharmicieren“ = Scharmützeln, kleinere Gefechte austragen.
46 Bedeutung: „Habern“ = Hafer.
47 Bedeutung: „Potten“ = Boten, Kundschafter.
48 Bedeutung: „ganze Tragzainen voll Schwebelschnitten“ = ganze Weidenkörbe voller Schwefelbrocken.
49 Bedeutung: „wie ein Imen im Korb zu ersteckhen und zu tödten“ = wie Bienen in ihrem Bienenkorb zu ersticken und zu töten.
50 Bedeutung: „Blindern“ = Plündern.
51 Bedeutung: „Weingart“ = Weinberge.
52 Bedeutung: „reverenter“ = ehrfürchtig, respektvoll.
53 Bedeutung: „umb Martini“ = am Martinstag, d. i. der 11. November.
54 Bedeutung: „verndigen“ = [im] vorherigen/vorangegangenen [Frühling].
55 Bedeutung: „entwehrt“ = weggenommen, entrissen.
56 Bedeutung: „außhäbern“ = bestellen, bepflanzen (wörtl.: aushafern).
57 Bedeutung: „dem hailigen Allmuoßen bettlen“ = um eine milde Gabe bitten, um Almosen betteln.
58 Mansfeld, Peter Ernst II. von <https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Ernst_II._von_Mansfeld> (29.06.2023).
59 Bedeutung: „rancionirt“ = Gefangennahme und danach Befreiung gegen Lösegeld.
60 Bedeutung: „Salva Guardia“ = Schutz- und Geleitbrief, der ursprünglich vom deutschen Kaiser verliehen wurde. Seit dem Dreißigjährigen Krieg bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden auch von einem Kommandeur genehmigte Passierscheine und abgestellte Schutzwachen als „Salvaguardia“ bezeichnet.
61 Bedeutung: „albereit“ = bereits, schon.
62 Bedeutung: „Contribution“ = Zahlung (einer Auslösesumme), Abgabe einer Kriegssteuer.
63 Bedeutung: „Losung“ = Ertrag, Erlös; Geldbetrag allgemein.
64 Bahnbrücken, Stadt Kraichtal KA.
65 Beilage D = Bahnbrücken;
66 Bedeutung: „Convoi“ = Geleit, Begleitung, Begleitschutz.
67 Bedeutung: „Bethgewand“ = Bettzeug.
68 Gölshausen, Stadt Bretten KA.
69 Bedeutung: „Gesünd“ = Gesinde, Angehörige.
70 Bedeutung: „Crabaten“ = Kroaten, Angehörige der kaiserlichen Armee.
71 Bedeutung: „ir Veldt nicht der Notturfft nach können zu Baw bringen“ = ihre Felder/Äcker nicht in der erforderlichen Notwendigkeit bestellen können.
72 Bedeutung: „deß Betlens ernehren“ = durch Betteln ernähren.
73 Gleicher Betrag im Original als Randvermerk links von dieser Zeile.
74 Sprantal, Stadt Bretten KA.
75 Bedeutung: „geriste Wägen“ = Frachtwagen, Reiswagen (siehe auch: Raißwagen).
76 Gleicher Betrag im Original als Randvermerk links von dieser Zeile.
77 Nußbaum, Gde. Neulingen PF.
78 Stadt Knittlingen PF.
79 Bedeutung: „Stechkälber“ = männliche Kälber.
80 Bedeutung: „Druchen“ = Truhen.
81 Ölbronn, Gde. Ölbronn-Dürrn PF.
82 Gleicher Betrag im Original als Randvermerk links von dieser Zeile.
83 Wie FN davor.
84 Bedeutung: „dannenhero“ = daher, deshalb, folglich.
85 Lat. = eilend, plötzlich.
86 Summe nicht nachvollziehbar.
Quelle | Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 29 Bü 37 |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |