Amt Vaihingen an Herzog von Württemberg 1630
Ober- bzw. Untervogt von Vaihingen1, Philipp von Liebenstein2 und Michael Reichardt3, berichten, dass sie zusammen mit rund zehn Personen in Roßwag4 den Neulandzehnten des Weins aus Illingen5, Mühlacker6 und Ötisheim7 (nach Beendigung des Geleits in Lienzingen8) beschlagnahmten und wegführten. Dabei sei es zu einem Tumult seitens der Roßwager Bauern gekommen, welche die Sturmglocken geläutet hätten, was leider nicht abgewendet und nur unter Strafandrohung beendet werden konnte, wobei die Bauern im Nachhinein behauptet hätten, es habe sich dabei nicht um ein Sturmläuten, sondern nur um ein ganz normales Amtsläuten für die Bauernschaft gehandelt.
Vaihingen, 26. September/6. Oktober 1630 (Abschrift)
Durchleüchtiger hochgeborner
Fürst, Euer fürstliche Gnaden seien unnser unnder-
thenig schuldig gehorsamb willi-
ger Dienst jederzeit zuvor9.
Gnediger Fürst unnd Herr. Euer fürstliche Gnaden
haben uff unnsere gethane under-
thenige Bericht uns in Gnaden
mit Ernst anbevohlen, daz wir
nit allein den Gewächs-Wein zu
Roßwag, sondern auch die Noval-
zehenden10 zu Illingen, Mühlakher
unnd Öttißheim, alls welche von
der hohen landtsfürstlichen Obrig-
kheit tepentiren11 ohnfehlbar ein-
ziehen unnd denen tetentatori-
bus12 des Closters Maulbrun13 ein
solches mitt Einbringung sattsa-
men Grundts zu erkhennen ge-
ben sollen. Weiln nun sie Teten-
tatores uff unnser Zuschreiben sich
(alls wir eben zue Lienzingen
uff dem Glaidt beyeinander ver-
samblet gewesen) erklärt, daz sie
weder den Gewächswein noch No-
valzehenden volgen zu lassen ge-
meint, indeme Euer fürstliche Gnaden (wie
uß dern Beylaag unnd Abschrifft
ihres sub tato sub Numero 114 an unns
ergangenen Schreibens zu sehen)
der hohen landtsfürstlichen Obrig-[keit]
nit geständig, auch sich diß Orths
der Universal-Immision15 behelffen
unnd zugleich auch ein Schreiben
an Pflegern, Schuldthaißen unnd
allen Unnderthonen darinnen
sie verbieten, das Euer fürstliche Gnaden weder
der Gewächswein noch die Novali-
en gevolgt werden sollen, abgehen
lassen. Inmassen auß der Beylag
Numero 2 zu sehen, Euer fürstliche Gnaden Bevelch
aber ußtrukhenlich dahin gehn,
das wir obige aigentliche unnd
Zehendtwein ohne fernere Verhin-
derung dem alten Herbringen ge-
mäß einziehen sollen unnd Euer fürstliche Gnaden
dißfalls uß der Possession khommen16
weren.
Alls seyen vom Lienzinger Glaidt
auß17 (weilen sich daßelb ohne das
geendet unnd periculum in mora18
vorhanden gewesen) wür mitt
etlichen raisigen19 Schuldthaißen,
die ohne das20 ihren Weeg uff Vayhin-
gen zugenommen hetten, neben
mein Obervogts Dienern unnd
allso uff die 10 Personen durch
Roßwaag geritten unnd im Für-
yberreütten bey der Kelttern
an Schuldthaißen unnd andere An-
wesende begert, weiln die hierzue
bestelte Fuhrn alberaith aldorten
ankhommen, unns solchen Wein ver-
folgen zu laßen21. Nachdem aber
durch die Fuhrleüth wür hierüber
mitt Ladung des rawen Weins
ein Anfang gemacht, hat es un-
der der Paurschafft zu Roßwaag
ein Uffgelauff geben. Allso das
etliche unnder ihnen Sturmschla-
gen laßen unnd sich uns wider-
setzen wollen. Wie dann die Glökh
angezogen worden unnd da
wir sie mit Betrowung des Ge-
gengewaldts nicht abwendig
gemacht, es ein rechten Tumult
geben hette, nachgehendts aber
unnd alls sie gestilt worden, haben
sie vorgeben, das sie nit Sturm-
schlagen, sondern allein ein Pau-
renglokhen leütten lassen, an-
zuzaigen, was am volgenden
Tag für Bann im Lehen offen22.
Uff welches wir solchen Gewächs
Wein nacher Vayhingen in die
Keltern führen lassen, welcher
dann albereit ußgekeltert unnd
in die Kellerei gelegt worden und
möchte dessen uff ohngefehr 13 Ay-
mer sein. Allein weiln die Ordens-
leüth denen Closters zugethanen
bey ihren Pflichten verbotten,
kheinen Novalzehenden zu Illin-
gen, Mühlakher unnd Öttisheim
verfolgen zue laßen, wißen wir
schier nit, durch was Manier23 wir
obgemeldte Zehenden, welche nit
uff ein Tag khönden geführt wer-
den, alhero bringen wöllen und
haben dises alles Euer fürstliche Gnaden wir hie-
mit unnderthenig berichten söllen.
Denselben zu beharrlichen24 Euer fürstlichen Gnaden
unns hierbei gehorsamblich be-
vehlendt. Datum den 26. Septembris
anno 1630.
Euer fürstliche Gnaden
Ober- unnd Unnder-
vogt zu Vayhingen
Philipps von Lieben-
stein
Michael Reichardt.
1 Stadt Vaihingen an der Enz LB.
2 Liebenstein, Hans Philipp von (1593–1637), 1629–1631 Obervogt zu Vaihingen (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2985) vgl. auch: <http://www.schwedenlager-bopfingen.de/layout2009/wuerttemberg_offiziere.htm> (28.02.2023).
3 Reichardt, Michael, (Unter-)Vogt zu Vaihingen 1625–1635 (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2991).
4 Roßwag, Stadt Vaihingen an der Enz LB.
5 Illingen PF.
6 Stadt Mühlacker PF.
7 Ötisheim PF.
8 Lienzingen, Stadt Mühlacker PF.
9 Bedeutung: „seien … zuvor“ = seien versichert.
10 Steuerabgabe für neugerodetes Land, das normalerweise nicht der Kirche, sondern dem Grund- bzw. Landesherrn zustand.
11 Bedeutung: „tepentiren“ = abhängen.
12 Detentoribus (lat.) = Inhabern.
13 Stadt Maulbronn PF.
14 Bedeutung: „sub tato sub Numero 1“ = unter der (angegebenen) Datierung, Nummer 1.
15 Einsetzung.
16 Bedeutung: „uß der Possession khommen“ = aus dem Besitz kommen, etwas Zustehendes nicht erhalten.
17 Bedeutung: „Alls seyen vom Lienzinger Glaidt auß“ = also sind [wir] unter Lienzinger Geleitschutz.
18 Lat. = Gefahr im Verzug.
19 Bedeutung: „raisigen“ = berittenen.
20 Bedeutung: „ohne das“ = ohnehin, sowieso.
21 Bedeutung: „verfolgen zu laßen“ = abtransportieren zu lassen, auszuhändigen.
22 Bedeutung: „was am volgenden Tag für Bann im Lehen offen“ = welcher Lehensbezirk am folgenden Tag bestellt werden soll.
23 Bedeutung: „durch was Manier“ = auf welche Art und Weise.
24 Bedeutung: „beharrlich“ = unverrückbar, beständig, stetig.
Quelle | Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 66 Bü 20 |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |