Kriegsbilanz des Amts Maulbronn 1655
Vogt1 und Gemeinden des Klosteramts Maulbronn2 berichten Herzog Eberhard III. von Württemberg3 über die seit 1629 erlittenen Kriegskosten und Schäden bezüglich der Einwohnerschaft (samt deren Lebensgrundlagen und Gewerbe), bezüglich der Besteuerungsgrundlagen (Gebäude, Wiesen, Gärten, Weinberge, Felder, Waldungen, Gülten, Handwerk, Fischwasser) sowie bezüglich der Kapitalien und Frondienste. Beigefügt sind zwei Tabellen mit den Maulbronner Amtsgemeinden.4
Das Schreiben trägt einen Eingangsvermerk des württembergischen Regimentsrats vom 31. Mai/10. Juni 1655.
Maulbronn, 2./12. Mai 1655 (Ausfertigung)
1 Das Dokument fällt in den Übergang der Amtszeiten zwischen zwei Untervögten: Marchtaler Bartholomäus von (1606–1662), 1647/48 bis 1655 (Unter-)Vogt zu Maulbronn sowie Rehm, Johann Matthäus, 1655–1658 (Unter-)Vogt zu Maulbronn (Pfeilsticker, Walther: Neues Württembergisches Dienerbuch. Band 2, Stuttgart 1963, § 2605). Rehm amtierte – abweichend von Pfeilsticker – sicher schon im Dezember 1655 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 206 Bü 3633).
2 Stadt Maulbronn PF.
3 Württemberg, Eberhard III. Herzog von Eberhard III. (Württemberg, Herzog) – Wikipedia (TT.MM.JJJJ).
4 Tabelle 1: (1) Dürrmenz, Stadt Mühlacker PF; (2) Diefenbach, Gde. Sternenfels PF; (3) Dürrn, Gde. Ölbronn-Dürrn PF; (4) Enzberg, Stadt Mühlacker PF; (5) Flacht, Gde. Weissach BB; (6) Freudenstein, Stadt Knittlingen PF; (7) Großglattbach, Stadt Mühlacker PF; (8) Gündelbach mit Domäne Steinbachhof, Stadt Vaihingen an der Enz LB; (9) Illingen PF; (10) Iptingen, Gde. Wiernsheim PF; (11) Stadt Knittlingen PF / Ruit, Stadt Bretten KA; (12) Kieselbronn PF; (13) Lienzingen, Stadt Mühlacker PF.
Tabelle 2: (14) Lomersheim, Stadt Mühlacker PF; (15) Ötisheim PF; (16) Öschelbronn, Gde. Niefern-Öschelbronn PF; (17) Ölbronn, Gde. Ölbronn-Dürrn PF; (18) Roswag, Stadt Vaihingen an der Enz LB; (19) Schützingen, Gde. Illingen PF; (20) Schmie, Stadt Maulbronn PF; (21) Weissach BB; (22) Wiernsheim PF; (23) Wurmberg PF; (24) Wimsheim PF; Zaisersweiher, Stadt Maulbronn PF.
Hinweis: Aus Platzgründen sind Worttrennungen in den Kopfleisten beider Tabellen abweichend vom Original.
Maulbronner
Ambt
Durchleuchtiger hochgebor ner
gnedigster Fürst und Herr etcetera.
Euer Fürstlichen Gnaden gnedigstes Außschreiben, daß yber her-
nachstehende Puncten, wie es damit vor der laidigen
Landts-Occupation5 und dann dißmahlen darum be-
want, unsern underthönigen Bericht aller Erbar-
und Uffrichtigheit gemäß zue der geheimen
Regimints-Raht gehorsamblich thun sollen, haben
wür in underthöniger Gehorsame empfangen.
Belangent nun ein satten6 Bericht, wie es vor der
Occupation hierinn gewis beschaffen gewesen, gehor-
samlich zue geben, werden Euer Fürstliche Gnaden mehr-
feltig gnedig vernommen haben, daß durch des
Closters Innhaber auch Kriegsgewalt, nit weniger
der Beamten, sonderlich Schultheyßen und Gerichts-
persohnen, Verenderung und Absterben etwa
auch teils Underthonen Untrewheit etcetera, dergleichen
Steur- und Gerichts-Acta wie auch Inventaria,
ernewerte Lägerbücher7 entführt, verlohren
und mangelhafft seyen. Wie dann nit einiges
anno 1629 gemachtes Steurbuch mehr enthalben complet
ist.
Der Ursachen, in deme nit 80 Mann, so vorm Ein-
fall gehaußet, mehr yberig wur, einig waß
diß Orts wahr sein vermutet und geglaubt,
diser Zeit Bewantnus aber grundtlich in ge-
horsamer underthöniger Trew berichten sollen
alß volgt.
Summa Summarum das im Ambt
Maulbronn sein.
I.
Innwohner.
Vor der Landts-Occupation, sovihl
Nachricht zue haben, seind gewesen
2.711 Burger.
Burger seind dißmahlen
846.
Beysitzer8, die nit in Euer Fürstlichen
Gnaden würkhlichen Dinsten be-
stallet
22.
Diese Beysitzer werden burgerlichen Genüßes9
halben, höher nit dann ein Burger etwa
zue 20 oder 24 [Kreuzer] Jahrs10 angelegt.
Commerciret.11
Under disen Burgern und Underthonen
niemandt.
Dann die
8 Bedeutung: „Beysitzer“ = erwachsene männliche Bewohner ohne volles Bürgerrecht (auch Hintersassen genannt).
9 Bedeutung: „burgerlichen Genüßes [halben]“ = im Hinblick auf ihr bürgerliches Nutzbringen, weil sie dem Bürgerwohl dienen.
10 Bedeutung: „Jahrs“ = jährlich.
11 Bedeutung: „commerciret“ = im Handel tätig, pflichtig einer Handelsabgabe (handelssteuerpflichtig). In diesem Zusammenhang ist die zweite Bedeutung wohl die zutreffende.
Nahrung.
Aller und jeder Underthanen dises Ambts
(außer volgender weniger Handtwerkher)
ist einig und allein der Veldt- und etlicher
Ortten Weingart-Baw12.
Welcher wie bekant mit großem Kosten
und sawerm Schwais gegen Abrichtung nam-
haffter Gültt-Beschwerden muß verrichetet
werden.
Daß biß solche neben den Steuren und jedes
Schulden bezahlt, worzue die Mitel mit
Hingebung wohlfaihler Fruchten in der
Milch, des Weins im Herbst und mehist
auf Rechnung etcetera einig zu machen, dem
hart schaffenden Mann nichts yber-
bleibet.
Ob gleich wohlen
Das Gewerb.
Vor der Occupation in Flekhen an der
Landstraßen alß Lienzingen13, Knit-
lingen14, Dirmintz15, Weysach16 etliche
Burger mit Vich, Frucht, Wein, Saltz etcetera
gegen dem Rein etcetera etwaß17 getriben.
So waiß man doch gewiß, daß nit zehen
Reicher mit Parschafft und ander n Miteln
vermögenliche Mann (dergleichen es anderer
Orten vihl gehabt) in disem Amt ein-
mahl gewesen weren.
Besonders aber
jezige Innwohner aller Mitel, Wißen-
schafft und Gelegenheit manglen.
So ist auch der Ursachen diser Orten
kein Commercium18 anzuestellen, daß
indeme der Außländische Weinkauff,
diß Orts hergegen in Pfaltz und
Prurein19 von uns Frucht und Wein
zue kauffen verbotten würt.
Taglöhner.
Indeme jeder aigene Güeter sehr wohl-
faihl bekommet und bawet, seindt
im gantzen Amt
33 Taglöhner,
welche noch nit sonders beguetet.
Werden einig20 umb daß Burgerrecht wie
ein anderer Burger und uff das
Taglohn schaffen nichts besteurt.
Und ist in disem gantzen Amt durchgehent
also bewant, daß, weil Knecht und Mägt
nit zue bekommen, jeder Haußmann21
sein Veldtgeschäfft selbst allein verrichten
muß, also Maister, Knecht und
Taglöhner aines ist.
II.
Gebawe.
Seindt, so vihl man erfahren kan,
anno 1629 besteurt
ohngewiß
3 497.
Anno 1654
seindt bewohnt genoßen und
besteurt
1 472,
darunder
834 Haußer,
626 Scheuren und Stallung,
12 Bach-Muhlin22.
So seind diser Zeit noch bewohnt zu machen
155 Haußer,
95 Scheuren,
1 Muhlin.
Welche wan Mitel und Leuht enthalben
noch zu zurichten und zu bewohnen weren,
aber wan keine Frembde ins Amt sich
darzue anlaßen, diser Gebau be-
sorglich noch vihl einfallen; dan dise
jezige Inwohner solche nit behaubten
könden.
III.
Wisen, Gras-, auch Kraut-
Gärtten.
Anno 1629 in Anlag kommen
ist kein Gewißheit
3.088 Morgen,
anno 1654 sovihl zu wißen
besteurt
2.790 Morgen.
IV.
Weingart.
Anno 1629 angelegt wor-
ohngefar geacht
den, so ohngewiß
Anno 1654 würkhlich genoßen
und angebaudt
625½ Morgen.
Besorglich, auch diße jezige Inwohner wenig
Weingart weiters in Bau richten, sonder
schwerlich die umgebrochene erhalten
werden. Weil vornemlich der
Akherbau (die große Frucht-Gültten
zu raichen) muß bey disem Leuhteman-
gel vortgebracht werden.
V.
Äckher.
Vor der Occupation in Anlag
kommen
21.219 Morgen ohn-
gefar; so man aber
nit gewiß waist.
…23 Morgen
Dißmahlen sein umbgebrochen
und angebaudt, so einig an-
gelegt
9.511 Morgen.
Inn 20 Jahr hero seind vihl Morgen
Akhers so sehr verwaldet, auch et-
liche in hangenden Veldern zerflöst, das
keine Hoffnung darauf ein Bauer
zu bringen.
23 Kein Eintrag, hierzu Randbemerkung links.
Insonderheit haben volgende Ort sehr rawe[?]
steinechte, kalte, ohnfruchtbare Ackher-
velder (deren mancher nit die Saat und
Gültt-Frucht einträgt) alß Wimbßheim,
Iptingen, Flacht, Weysach, Roßwaag,
Gindelbach, Schitzingen, Zaisersweiher,
Diefenbach, Ruith, Kiselbronn, Glat-
bach, Wurmberg, Eschelbronn.
VI.
Waldungen.
Durch Privatos vor dem Ein-
fall versteurt
ohnwißent
… Morgen,
diß Tags aber
212 Morgen.
VII.
Frucht-, Weinn- und Gelltt-
Gultten.24
Haben vor der Occupation
kunden angelegt werden
ohnwißent
…
diß Tags aber allein
24 Die „Gultt“ bzw. Gült bezeichnet eine aus einem Grundstück an den Grundherrn zu zahlende Steuer oder Abgabe. Es wird zwischen der Geld-Gülte (Zahlung in Geld) und der Frucht-Gülte (Zahlung in Naturalien) unterschieden.
VIII.
Handtierungen und Handt-
werkher.
Vormahl anzuelegen gewesen,
zue Capital gerechnet
ohnwißent …
Dißmahl seind etlich wenig Handt-
werkhsleuht (so eintweder in
Mangel Gelegenheit oder auß
Hinderung der Veldtgeschäfften
daß Handtwerkh nit allezeit
treiben könden) welche besteurt
6.216 [Gulden].
Namlich
seind im gantzen Amt
13 Bekher 7 Zimmerleit
7 Metzger 5 Schreiner
1 Vischer 1 Schloßer
9 Gastgeb oder ofene 3 Hafner
Schildtwuhrt25 1 Glaser
16 Schmidt 2 Ziegler
8 Wagner 4 Maurer
2 Sailer 1 Kubler
3 Satler 11 Kuefer
5 Schuester 2 Bader
18 Schneider 1 Spihlman
22 Weeber
25 Bedeutung: „Schildtwuhrt“ = Schildwirt, öffentlich berechtigter Schankwirt (im Gegensatz zu Wirten, die nur gelegentlich Ausschank haben dürfen).
IX.
Visch-Waßer.
Seind vohrmahl angelegt
worden
ohnwißent
Heutiges Tags belaufft sich
deren Steur-Anschlag
690 [Gulden].
Dann einig zue Dirmintz, Entzberg, Lo-
mersheim und Roßwag: 5 Stukh
Privat-Waßer; die ander alle
dem Closter aigen gehörig und ver-
lihen werden.
Besteurung.
Diser Gebaw, Wisen, Weingart, Akher etcetera
betrefent, werden diser Zeit einig
die genoßene Gueter angelegt. Und
indeme sowohlen aller Orten die
Steurbuecher alß auch alte Ambts-
rechnungen ermanglen, waist
man keines Orts besondere alte
Proportion26, was jedem Flekhen an der
Landts-Steur anno 1629 gebürt hewe.
26 Bedeutung: „Proportion“ = Verhältnis, Angemessenheit, rechtes Maß, Übereinstimmung.
Dahero alle Jahr nach Anzahl der Inn-
wohner und gebaudter Gueter im
Amt eine gleichmäßige Besteurung
musten gemacht werden. Damit auch
under allen und jeden Gleichheit
erhalten, die abgangene depopulirte27
Ortt etwas vermehret und die
newe Burger nach fürstlichem Uß-
schreiben bey Connwentz28 erhalten werden.
X.
Auf disem steurbarem Vermögen
ist mann dargegen
Schuldig
verzünsende Capital-Schulden.
Daß gemeine Amt in
Summa 7.288 [Gulden]
38.800
300 Lomersheim
39.100 [Gulden].
die gesamte Ambts-
Flekhen in Sonderheit 38.800 [Gulden],29
sodann
die burgerliche Innwohner
samt und sonders fur sich
70.887 [Gulden]
XI.
Öwig ohnablößige Gelltt-, Frucht-
und Wein-Gültten.
Seind diser Ambtz-Flekhen Gueter
schuldig, daran nurmehr wenig will
nachgesehen werden.
2.022 [Pfund] 17½ [Schilling] oder 1.444 [Gulden] 54 [Kreuzer]
4 [Heller] Heller-Zinß etcetera thun
zue Capital gerechnet, wie
solches anno 1629 in der
Gueter-Steur abgezogen
40.457 [Gulden] 30 [Kreuzer].
Gültt-Früchten zu Rawem[?]30
gerechnet
6.767 [Scheffel] 7 [Simri] 1 [Vierling]
namlich.
1 316 [Scheffel] 5 [Simri] 3½ [Viertel] jährlich Gültt-
Rokhen zue Capital gerechnet
112.361 [Gulden] 20 [Kreuzer].
2 761 [Scheffel] 2 [Simri] 2½ [Viertel] jährlich
Gültt-Dinkhel und -Habern
wurdt zue Capital
gerechnet 117.816 [Gulden] 40 [Kreuzer].
30Bedeutung: „Rawem“ = Rau(h)futter (Heu oder Stroh).
529 Schefel 6 [Simri] 2 [Viertel] Landacht
Rokhen oder Habern
macht Capital
21.605 [Gulden] 20 [Kreuzer].
335 [Scheffel] 4 [Simri] 3 [Viertel] Landtacht Dinkhel
oder Habern ist an Ca-
pital zue schätzen
9.471 [Gulden] 10 [Kreuzer].
130 [Eimer] 3 Imi 2 Maß jährlich
Gültt-Wein (neben deme,
daß under der Keltter
daß 7te Teil gegeben)
so zue Haubtguet gerechnet
21.832 [Gulden].
Frohndinst.
Sowohl bedingte zue allen Closter-Ge-
schäfften und -Gebäuten alß ohngemeßens
und ohnbedingte, auch sonderlich an
Gräntz- und Landtstraßen vornemlich
zue Kriegszeiten und was dergleichen
Particular-Beschwerden gegen andern
Orten sich mehrfeltig ohnenderlich
begeben, seind höher dan Schuldt-Ca-
pitaliae31 und nit zue aestimiren32.
Dises alles der Sachen wahren Bewantnus,
gemäß haben Euer Fürstlichen Gnaden wür un-
derthönig berichten, und deren Fürstlichen
Hulden uns gehosamst anbefehlen wollen.
Datum den 2. Maii anno 1655.
Euer Fürstliche Gnaden
underthönigst
verpflicht
gehorsamste
Vogt, auch Burgermeister
und Gericht des Ambts
Maulbronn.
Quelle | Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 261 Bü 399 |
Die Wiedergabe der Transkription folgt der Originalquelle buchstaben- und zeilengetreu. |