Der Württembergische Landgraben im östlichen Enzkreis
und sein Verlauf
von Nico Vincent Völkel
Neben den populären, aus der Zeit des Pfälzischen Erbfolgekriegs stammenden Eppinger Linien, durchzieht eine weitere, ältere Wall-Graben-Anlage die östlich von Pforzheim gelegene Hälfte des Enzkreises – der Württembergische Landgraben. Zwischen Neuhausen im Süden und Sternenfels im Norden sind im Gelände immer wieder Relikte der Linienbefestigung zu finden, die eines der wenigen greifbaren und erfahrbaren Zeugnisse des Dreißigjährigen Kriegs im Pforzheimer Raum darstellt.
Über die Ursprünge des Landgrabens gibt ein Schreiben des Markgrafen Friedrich von Baden an den württembergischen Herzog vom 13.05.1622 Auskunft, in dem die Anlage zum ersten Mal erwähnt wird. Darin befürchtet jener die Verletzung seiner Forst- und Jagdrechte durch den geplanten, durch den Leonberger Forst von Wiernsheim über Wimsheim nach Friolzheim führenden Landgraben und forderte – vergeblich – die Einstellung des Vorhabens.
Damit datiert der Württembergische Landgraben im östlichen Enzkreis später als eine ebenfalls als (Alt-)Württembergischer Landgraben bekannte Befestigungsanlage, die südwestlich von Heilbronn zwischen dem Bottwartal über Lauffen am Neckar bis zur Heuchelberger Warte verläuft. Sie wurde bereits gegen Mitte/Ende des 15. Jh. durch die Württemberger Grafen gebaut und richtete sich gegen die nördlich angrenzende Kurpfalz, mit der diese im Konflikt lagen. Der Enzkreis-Landgraben dürfte hauptsächlich angesichts der zunehmenden Bedrohung des protestantischen Württembergs durch die Gefahren des Dreißigjährigen Kriegs, d.h. gegen feindliche Heere und durchziehende, plündernde Soldatenverbände errichtet worden sein. Wie etwa die Kieserschen Forstkarten, ein in den 1680er Jahren erstelltes Kartenwerk, welches u.a. die württembergischen Wälder darstellt, nahelegen, diente der Graben zudem der Markierung der Westgrenze des Leonberger Forstes südlich und des Stromberger Forstes nördlich der Enz bzw. orientierte sich weitgehend an deren Verlauf. Dabei fällt auf, dass der Landgraben mit der Verfolgung dieser Grenze teilweise durch Gemarkungen sowie im Falle von Wiernsheim, Wimsheim oder Friolzheim durch Dörfer verläuft und mitunter strategisch unklug angelegt wurde. Zudem wurden dadurch württembergische Dörfer ausgeschlossen. Die Gründe dafür sind nicht gänzlich geklärt.
Schon früh berichtet die schriftliche Überlieferung über Probleme, die sich beim Bau der Befestigungsanlage und auch dessen weiterem Erhalt ergaben. Zuständig für die Arbeiten waren die zu Frondiensten verpflichteten Bewohner der betroffenen bzw. vom Landgraben profitierenden Gemeinden bzw. Ämter, was häufig zu Beschwerden führte, da diese durch die Abstellung von ihren eigentlichen, dem Broterwerb und der eigenen Haushaltung dienenden Tätigkeiten, abgehalten wurden, sich entweder generell nicht zur Mithilfe oder unverhältnismäßig häufig zu dieser verpflichtet fühlten. Bereits im Vorfeld oder mit Beginn der Bauarbeiten entstanden Konfliktsituationen: 1621 protestierten die Inhaber der eigentlich freien Höfe bei Höfingen im Oberamt Leonberg gegen die ihnen auferlegte Fronarbeit bei der Errichtung des Landgrabens. Dem wurde entgegnet, als begüterte Bewohner des Landes, dessen Frieden sie genossen, solle man sich auch an dessen Verteidigung beteiligen. Die fortwährende Weigerung führte dann zu einer Bestrafung. Der Vorgang zeigt und begründet, dass nicht nur die unmittelbar benachbarten Orte, sondern auch weiter entfernte Gemeinden des Oberamts zum Bau herangezogen wurden. Am 10. Juni 1622 beschwerten sich gar die badischen Untertanen im überwiegend württembergischen Heimsheim über ihre – offenbar unrechtmäßige oder „versehentliche“ – Heranziehung zum Bau. 1622 erging auf dem Landtag die Bitte der Landschaft, den Untertanen, die den Landgraben verfertigt hatten, nochmals eine Ergötzlichkeit, also offenbar eine weitere Entlohnung oder Befreiung von der Arbeit, zu geben.
Einen Eindruck von der Arbeitsleistung der zum Bau Verpflichteten gibt die Oberamtsbeschreibung Leonberg von 1930: 1622 war das Oberamt Leonberg mit Ausnahme von Friolzheim und dem Amt Merklingen für die Errichtung des 1000 Ruten, also ca. 5 Kilometer langen Abschnitts zwischen Dürrmenz und Wiernsheim zuständig. Der Graben musste 18 Schuh weit und 8 Schuh tief sein, der Wall ebenfalls 8 Schuh hoch (1 Schuh = ca. 29 cm). In der Zeit vom 4./14. bis 8./18. Mai 1622 arbeiteten 925 Mann je einen Tag. 1624 sollten wieder 1000 Mann, von denen jeweils vier eine Rute zu bauen hatten, an der Anlage arbeiten. 1627 sollte dem Oberamt Leonberg erneut die Unterhaltung von weiteren 600 Ruten zugewiesen werden – man bat jedoch um die Beteiligung eines weiteren Amts. Aus dem November 1622 stammt die Bittschrift des Wiernsheimer Pflegers Johann Heinrich Wol, der die Flurstücke auflistet, die durch den Landgrabenbau ihrer eigentlichen Nutzung entzogen wurden, was eine Reduzierung der Erträge zufolge hatte. Daraus abgeleitet bat Wol um eine Verringerung der Abgabenlast. Im Vorfeld der Planungen zum ab 1624 geplanten Ausbau des Landgrabens gibt die Beauftragung Wolf Friedrich Löschers einen weiteren Einblick in den Umgang mit der Grundstücksthematik. Demnach sollte möglichst Rücksicht auf Bauwerke genommen werden. Dort, wo die Anlage über Wiesen oder Äcker verlaufen werde, hatte die jeweilige Ortschaft dem Besitzer Schadensersatz zu leisten. Eine weitere Problematik stellte der mitunter häufige Austausch der Arbeiter dar, über deren fehlende Kenntnisse bzw. deren immer wieder notwendige Einweisung geklagt wurde.
So empfahl der württembergische Kriegsrat dem Herzog Johann Friedrich im Februar 1623 die Errichtung von Redouten sowie die Abstellung fester Arbeitsmannschaften zur Ausführung von Bauarbeiten am Landgraben. Dieser begann zudem bereits jetzt an verschiedenen Stellen einzufallen.
Daraufhin wurden 10.000 Gulden für die notwendigen Arbeiten bewilligt, mit deren Durchführung der Ingenieur Wolf Friedrich Löscher beauftragt wurde. Zunächst oblag ihm jedoch die Besichtigung des derzeitigen Zustands der Anlage.
Am 09. Juli 1624 erstattete dieser dem Herzog Bericht über den derzeitigen Zustand des Württembergischen Landgrabens. Daraus geht hervor, dass ein Anschluss an den älteren Neckar-Landgraben geplant war, der von Sternenfels über Kürnbach, durch den Stromberger Forst bis zum Heuchelberg führen sollte. Damit wurde das bereits im 15. Jh. gescheiterte Projekt wiederaufgenommen. Löscher macht jedoch auf die Notwendigkeit der Einbeziehung der dadurch ungeschützten Orte Knittlingen, Derdingen, Kürnbach, Stetten, Niederhofen und Kleingartach und ihrer Gemarkungen aufmerksam. Zudem berichtete er über den inzwischen an vielen Stellen schlechten Zustand der zu diesem Zeitpunkt ja erst maximal zwei Jahre alten Befestigungsanlage, was auch durch den Bericht des Maulbronner Vogts vom August 1624 bestätigt wird. Der Gefahr durch Quellen sowie bei starkem Niederschlag auftretende Wassermassen, was erst kürzlich der Fall gewesen war, empfahl er mit der Anlage einer verflochtenen Hecke entgegenzutreten. Weiterhin empfahl der Ingenieur den Bau von Redouten und die Anlegung eines Warnsystems. Probleme bereitete zudem erneut die Abstellung von Arbeitern. So beklagten sowohl der Maulbronner Vogt als auch die Orte Knittlingen und Stetten den zu hohen Arbeitsaufwand und baten um Unterstützung.
Löscher schlug daher vor, statt 1000 unkoordinierter Arbeiter lediglich 100 bis 200 Mann vom Militär für den Bau zu verwenden.
Doch nicht nur der Weiterbau im Norden und der Anschluss an den älteren, östlichen Württembergischen Landgraben waren Teil des 1624 begonnen Projekts, auch seine Fortführung nach Süden bis zur Nagold durch das unwegsame Monbachtal wurde angegangen. Zwar konnte damit im Gegensatz zum ursprünglichen geplanten Verlauf in Richtung Liebenzell Strecke, Baumaterial und Zeit eingespart werden, dennoch fehlte es an Schanzzeug und dem nötigen Geld.
Wohl angesichts der mangelnden Bereitschaft der Untertanen und aufgrund finanzieller Schwierigkeiten schwand im Kleinen Ausschuß des Landtags zunehmend der Wille, den zugesagten Geldbetrag auch tatsächlich bereit zu stellen. Möglicherweise spielte auch die momentan für Württemberg verringerte Bedrohung durch Kriegshandlungen mit ein. Am 21. November 1625 schließlich wandte der Kleine Ausschuss ein, aufgrund der knappen finanziellen Mittel den (Weiter-) Bau des Landgrabens, also offenbar den Weiterbau im Norden bzw. Süden, einzustellen.
Zumindest 1629 war der Landgraben jedoch noch in Benutzung. Am 01.10. erwähnen die Landtagsakten die Landreiterei und Reparation des Landgrabens. Abermals befand sich die Anlage also, zumindest partiell, in schlechtem Zustand. Möglicherweise ist mit der Landreiterei die von Löscher empfohlene Besetzung und Überwachung des Landgrabens gemeint.
1630 besetzte der kaiserliche Oberst Ossa Amt und Kloster Maulbronn, vermutlich geschah dies als Folge des Restitutionsedikts Kaiser Ferdinands II aber friedlich. 1632 wurde das Kloster von den Schweden eingenommen. Aus dem gleichen Jahr ist dann die einzige Begebenheit überliefert, bei der die Befestigungsanlage direkt in kriegerische Ereignisse involviert war. Wie unten erläutert, hielten der Landgraben bzw. die Verschanzungen an der Knittlinger Steige den mehrfachen Angriffen der Kaiserlichen stand. Auch die Befestigungen auf dem Eichelberg und auf der Reichshalde werden in diesem Zusammenhang genannt. 1634 geriet Württemberg nach der schwedischen Niederlage bei Nördlingen unter kaiserliche Herrschaft. Ob in den Folgejahren der Landgraben als Schutz gegen etwaige französische bzw. schwedische Angriffe, beispielsweise bei der Eroberung Württembergs 1646, gedient hatte, ist nicht bekannt. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 bekamen Baden und Württemberg ihre Vorkriegsgebiete zurück.
Der Landgraben hat sich in Form von einer einfachen Wall-Graben-Anlage erhalten, bei der der Wall auf der württembergischen, der Graben auf der anderen Seite lag. Zumeist ist dies innerhalb von Waldgebieten der Fall, nur ausnahmsweise, etwa westlich von Heimsheim, ist der Landgraben auch im Offenland nachzuvollziehen, dort jedoch zumeist allenfalls als Geländekante, Graben oder im LIDAR-Scan. In der Regel ist dies seiner Zerstörung durch die nach seiner Aufgabe einsetzenden bzw. die zuvor nicht nutzbaren Wälle und Gräben nun einbeziehenden Landwirtschaft zuzuschreiben. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Abschnitte lediglich aus einem Verhau (auch Verhack oder Gebück) bestanden. Dabei handelt es sich um eine undurchdringliche Hecke aus zusammengeflochtenen Bäumen und Dornensträuchern, etwa Brombeeren, Schwarz- und Weißdorn, Heckenrosen und Hainbuchen. Neben der Möglichkeit von Palisaden waren wohl auch die Wälle entsprechend bepflanzt, was ein üblicher Bestanteil von Landwehren war. Zumindest empfahl letzteres Wolf Dietrich Löscher 1624.
Selbstverständlich konnte durch eine solche Hecke keine Armee aufgehalten werden, die ein ernsthaftes Interesse verfolgte, in das entsprechende Gebiet einzudringen. Doch bereitete es zunächst einige Mühen und Zeit, einen Durchbruch zu schlagen, sodass mancher Eindringling von vorneherein davon absah. Vielmehr stellte eine solche Landwehr neben ihrer Funktion als Anzeigerin eines anderen Rechts- und Herrschaftsraumes eine Kontrollmöglichkeit dar, die das ungehinderte Betreten des eigenen Herrschaftsgebiets und damit dessen Plünderung und Verwüstung, aber auch die Umgehung eventueller Zollstationen, verhinderte oder wenigstens verzögerte und den Verkehr auf die Durchlässe leitete.
Diese waren zumeist mit Schlagbäumen, Fallriegeln oder Drehkreuzen gesichert, wiesen Brücken über den Graben auf und waren von einem oder mehreren Wächtern besetzt. Für den Württembergischen Landgräben liegen dazu keine Informationen vor, jedoch wird man sich so auch hier die Durchgänge vorstellen können. Wo diese lagen ist ebenfalls unklar, denkbar sind Öffnungen an der wichtigen und durch Redouten gesicherten Knittlinger Steige, bei Ötisheim sowie in den Orten, die südlich der Enz unmittelbar vom Landgraben durchzogen wurden.
Versuchte ein Feind es dennoch, durch den Landgraben bzw. die Hecke zu brechen, so konnte er währenddessen von Warttürmen entdeckt werden, die durch Feuer- oder Tonsignale die übrigen Posten, nächsten Ortschaften und Verteidiger alarmierten. Es gibt Hinweise darauf, dass auch am Württembergischen Landgraben ein solches System bestand oder zumindest geplant war. So soll es bei Friolzheim verschiedene Posten gegeben haben, zudem dürften die Kirchtürme von Friolzheim, Wimsheim, Wiernsheim und Dürrmenz diese Funktion übernommen haben. Löscher empfahl 1624 die Einrichtung einer Postenkette, die mit Feuerzeichen kommunizieren und von Reitern abgeritten werden sollte. Möglicherweise sind dieser Maßnahme die Redouten auf dem Eichelberg, auf der Reichshalde und an der Knittlinger Steige zuzuschreiben, eine vollständige Umsetzung der Empfehlung scheint aber ausgeblieben zu sein.
Ausweislich der Kieserschen Forstkarten der 1680er Jahre diente der Landgraben in diesem Zeitraum großteils zumindest noch der Anzeige von Forstgrenzen, da dieser dort jedoch teilweise durch uneinsehbare Waldgebiete verläuft, scheint er nicht mehr unbedingt militärisch genutzt worden zu sein. Eine Wiedernutzung im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) und Einbeziehung in die Eppinger Linien ist lediglich für den Kreuzungsbereich der beiden Anlagen im Rotenbergwald zwischen Dürrmenz und Pinache nachgewiesen, aber auch anderswo denkbar. 1795 bewertete ein Major die Befestigungsanlage als ein heute unnützes und verwildertes Relikt aus der „Ritterzeit“, dessen Pflege man nicht weiterverfolgen solle.1828 erkundigte sich das Kameralamt Maulbronn nach etwaigen Spuren des spätestens jetzt nicht mehr genutzten und, wie die Antwort der Gemeinden zeigt, auch nicht mehr ganz korrekt historisch einzuordnenden Landgrabens bei Knittlingen und Ötisheim. Zu diesem Zeitpunkt und auch in der Folge werden anthropogene und natürliche Erosionsprozesse in vollem Gange gewesen zu sein. Das Relikt wurde streckenweise abgetragen und zugeschüttet, die frei gewordenen Flächen konnten nun hindernisfrei landwirtschaftlich genutzt werden. Als Anzeiger von Gemarkungsgrenzen dient der Württembergischer Landgraben partiell aber bis heute.
Die einzelnen erhaltenen Teilstücke sind gemäß § 2 DSchG BW als Kulturdenkmal geschützt, dennoch bestehen nach wie vor Gefahren, hauptsächlich durch die Forst- und Landwirtschaft. Die Kenntnis über die Relikte der historischen Befestigungsanlage und ein geschärftes Verständnis für deren Erhalt ist hier unabdingbar für deren weitere Existenz.